Der Osten: eine westdeutsche Erfindung
Ich lese momentan ein geliehenes Buch: Der Osten ist eine Erfindung des Westens und irgendwie bewirkt es, dass ein paar Erinnerungen der Vergangenheit zurückkommen. Wie schon hier notiert, bin ich einer dieser Ostdeutschen. Das Buch argumentiert, dass das mediale Bild des „Ostens“ seit 30 Jahren ein subjektives, von Westdeutschen gelenktes, verzerrtes Bild ist, das keine objektive Grundlage besitzt, sondern getrieben ist von Siegerjustiz und Dekaden alten Vorurteilen, die auch heute noch benutzt und weiter vereinfacht werden.1
Ich halte mich für zu pragmatisch, um dem voll und ganz zustimmen zu können, einfach auch, weil Protektionismus in gewissem Maße menschlich ist, was es aber nicht rechtfertigen sollte, dass auch ich mich in den letzten Dekaden nicht angemessen medial repräsentiert fühle als Ostdeutscher. Das Buch hat mir ein paar Momente der Vergangenheit in Erinnerung gebracht. Primär Situationen, in denen ich in einer Gruppensituation buchstäblich die Minderheit oder besser oft der einzige Ostdeutsche war. Sofern die Gruppe aber genug Schnittmenge anderer Art hatte, spürte ich selten bis nie etwas Unangenehmes. Positiv fällt mir zum Beispiel das Man!ac-Forumstreffen ein, wo ich auch der einzige Ostdeutsche damals war, aber das war nie ein Thema. Auch dafür liebe ich diese Gemeinschaft der Videospieler. Wir stritten nach 5 Minuten sowieso nur, welche Figur in Soul Calibur die beste sei.
Auf der anderen Seite erinnere ich mich an ein mehrwöchiges Praktikum in Köln. Meine erste und letzte WG-Erfahrung. Ehrlich gesagt fühlte ich mich dort willkommen und gut aufgehoben, aber mir war auch in jedem Augenblick ersichtlich, dass meine Herkunft, meine Jugend eine gänzlich andere war, als die meiner ähnlich jungen Mitbewohner damals. Die Definition von Problemen war gänzlich anders. Man fand wenig Schnittmengen und so wurden die Unterschiede stärker in den Vordergrund gerückt. Das war eine doch eher befremdliche Erfahrung meinerseits.
Bei Salesforce habe ich gefühlt alle 6 Monate meine Arbeitsgruppe wechseln müssen. Irgendwann hatte ich ein paar Slides kreiert, um mich jeweils der neuen Gruppe kurz vorzustellen. Ein Bild dabei zeigt auch, dass ich eben hinter dem eisernen Vorhang geboren wurde. Irgendwie ist mir das dann doch nicht so unwichtig zu erwähnen. Im Kontext meiner Slides spielt es auch eine narrative Rolle, denn meine berufliche Laufbahn wäre ohne Zugang zu Technologie der damaligen Zeit ein anderer Weg gewesen – ein Zugang, der erst mit dem Fall der Mauer offen war. War man dann aber mal im Gespräch mit den internationalen Kolleginnen und Kollegen, gab es keine Trennung mehr nach Himmelsrichtungen und Herkunft. Vielleicht mochte ich auch deshalb dieses Arbeitsumfeld so sehr.
Was mir auch klar geworden ist, sowohl im Kontext des Buchs, als auch durch meine letzten Monate der Reflexion: Das Gefühl, als Teil egal welcher Gruppe immer Außenseite zu sein, begleitet mich wirklich mein ganzes Leben, und die Phasen, wo dies nicht der Fall war und ist, gehören zu den Schönsten.
Aufmacherbild: The Stone Breakers (1849) – Gustave Courbet ↩
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