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Gruppenbildung
  • Fr., 14. November 2025
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Momentaufnahme

Gruppenbildung

Während meine ersten Schuljahre noch im System der DDR stattfanden und von Harmonie dominiert waren, so sorgten mit dem Fall der Mauer und damit ein echter Wechsel des Schulsystems dafür, dass sich zu viele Dinge auf einmal änderten. Plötzlich war mein Weg in die Schule nicht mehr nur 5 Minuten zu Fuß. Plötzlich war mein großer Bruder nicht mehr immer präsent, um mir aus der Misere zu helfen. Aber so viel Misere gab es auch noch nicht wirklich. Auch hier wechselte die Stimmung innerhalb eines Jahres enorm.

Plötzlich kreierten Marken bei Kleidung und anderen Dingen eine Kluft zwischen Schülern. Starter Caps und Merchandise amerikanischer Sport-Clubs wurden zur Uniform der Schule und symbolisierten Zugehörigkeit und Disharmonie gleichzeitig. Trug man Raiders in einer Vikings Straße, konnte es ungemütlich werden. Im besten Fall musste man nur sein falsches Kleidungsstück abgeben, auf das man Monate gespart hatte. Im nicht so besten Fall lief man in Unterwäsche mit blauen Flecken am Körper nach Hause. Allein sich durch die falsche Gegend zu bewegen, war nicht sehr schlau. Eine Gruppe machte das Leben einfacher.

Wechselstimmung

Hatte ich nahe des Wohnorts über die Jahre schon ein paar Freundschaften geschlossen, sprengte der Wechsel der Schule die Gruppe in mehrere Teile. In den weiter entfernten Schulen, waren wir meist dann wieder allein. In meinem Fall hieß das, Freunde zu verlieren, mit denen ich schon in der Kinderkrippe war. Es folgten die unbefriedigendsten Schuljahre meines Lebens. Im Nachhinein vielleicht gar nicht so schlimm wie in meiner Erinnerung, war einfach die Isolation, allein auf sich gestellt zu sein, nachdem ich vorher die Sicherheit des Freundeskreises hart erarbeitet hatte, pure Angst an manchen Tagen. Rückblickend muss ich sagen, dass sicher auch dies mich für den Rest des Lebens programmiert hat und ich bis heute in ähnlichen Situationen in Panik gerate. Dem Rest der Gruppe ging es nicht so viel anders, aber irgendwie fanden alle schneller Anschluss an neue Gruppen als ich damals.

An dem Punkt hatte sich der Freundeskreis von vorherigen Jahren schon etwas voneinander entfernt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dann der dritte Wechsel der Schule. Es ist der erste neue Schultag und alle Klassen eines Jahrgangs finden sich zusammen. Ich erhasche erste Blicke der anderen und suche selbst nach bekannten oder gehassten Gesichtern. Dabei merke ich, wie sich jemand hinter mir nähert, und ich schon leicht nervös werde. „Schaut mal, wer da ist. Mücki!“

Ich drehe mich um und erkenne ein vertrautes Gesicht mit zwei mir bis dahin Fremden an seiner Seite. Günni kannte ich seit Ewigkeiten, er tat mir gut, und allein der Gedanke, die Situation damals zu erleben, treibt mir gerade Tränen in die Augen. Da fiel eine Last von mir, wie ich es selten erlebt habe. Ich wusste: Egal was von jetzt an passiert, es wird nicht so schlecht wie bisher. Auch das ist ein Verhaltensmuster, das mich mein Leben lang begleitet. Selbst nach Jahren Durststrecke, glaube ich, kommt immer solch ein Moment des puren Glücks, den ich dann bis in die Ewigkeit festhalten möchte – erfolglos.

Günni hatte ich damals lange nicht gesehen und in diesem Alter wächst man auch. Ich selbst war lange körperlich hinterher, er dagegen war immer größer als alle anderen, wuchs noch weiter und war zu dem Zeitpunkt locker zwei Köpfe größer als ich. Neben ihm standen Daniel und Andre. Daniel wurde in kurzer Zeit zu einem sehr guten Freund, der jedoch Jahre später für tiefe emotionale Narben verantwortlich war, die mich bis heute schmücken. Andre war vom ersten Moment an durchgeknallt, wir taten uns eher schwer miteinander und fanden erst später Zugang zueinander, als ich seinen Rucksack bemalte.

Günni erzählte den Zweien von mir und dass ich „lustig“ sei, aber auch schnell nerven kann. Beides stimmt bis heute und Spoiler-Alert: Günni zählt zu den Top 3 Menschen, die mein Leben geprägt haben.

„Du wirst nicht glauben, wer noch hier ist.“ Er hebt den Arm und pfeift mit der anderen Hand, in dieser coolen Variante, wo man so den gewinkelten Finger mit zwischen die Lippen nimmt. Ich habe, glaube ich, nie coolere Leute um mich gehabt. Sein Pfeifen erfüllte seinen Zweck. Aus dem Hintergrund näherte sich … Chris.

Chris kannte ich ebenfalls seit einigen Jahren zu diesem Zeitpunkt. Er und Günni waren engste Freunde. Meines zweiten Platzes um die Gunst Günnis waren Chris und ich uns beide bewusst. Er hat es mich aber bis zum letzten Tag nicht spüren lassen. Sie beide fanden, schnell zueinander, weil beide in ähnlich problematischen Haushalten aufgewachsen sind. Ganz so übel war es bei mir nicht.

Chris und ich respektierten uns, aber wir waren erst später richtig warm miteinander. Chris war ein Riesenfan von Guns & Roses, aber auch das Enfant Terrible der Gruppe. Vom ersten bis zum letzten Tag war er verdammt noch mal loyal und wir hatten im Laufe der Jahre einige kritische Situation in denen ich völlig abhängig seiner Gunst und Loyalität war. Ich hab keine Sekunde gezweifelt, dass er alles tun wird, um Schaden von allen der Gruppe abzuwenden. Ich möchte nicht wissen, wie viele Narben er für die Gruppe kassiert hat.

Und mehr

Da standen wir also. Günni, Chris, Andre, Daniel und ich. Erster Schultag an einer neuen Schule, weit weg von unserem Viertel. Es dauerte keine 5 Minuten und Chris rief eine weitere Person zu uns. „Das ist Stefan, wir waren gemeinsam in der Nord.“

Stefan wurde sehr schnell ein toller Kumpel. Unsere Bindung fand über Computerspiele statt. Wir beide waren von der Sammlung an Raubkopien des anderen beeindruckt. Er kam auf die Idee, gemeinsam das Zeug zu verkaufen. Bei Stefan hingen wir sehr oft nach der Schule ab und zockten NBA Jam. Er und ich teilten auch den gleichen Musikgeschmack, respektive hat er mich sehr musikalisch beeinflusst. Wir gaben uns regelmäßig Tapes. Er hat mich damals auch Jahre später mitgeschleppt, zu einem Battle of the Year und wir haben beide gezeichnet und gesprüht. Ich war immer neidisch auf sein Können, was das Künstlerische betraf. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass nur er in den letzten Schuljahren, meine Kreationen im Kunstunterricht wertgeschätzt hat, und wir haben lange darüber gequatscht. Er war auch ein Auslöser, wieso ich das anschließend studieren wollte.

Günni, Chris, Andre, Daniel, Stefan und ich. Das war noch nicht das Ende. „Ach ja, Torsten muss auch hier sein“, meinte Günni, der wie damals schon sofort die zentrale Position der Gruppe einnahm. „Warte mal, welche Klasse ist der? Moment.“ Wenige Momente später kam er zurück mit Torsten, den ich auch lange nicht gesehen hatte, und einer weiteren unbekannten Gestalt. Noch größer als Günni selbst. Das war Marcel, er und Torsten waren die letzten Monate schon befreundet.

Torsten und ich haben uns immer gefragt, welcher Zufall uns eigentlich Teil dieser Gemeinschaft werden ließ. Wenn man uns als Gruppe sah, stachen wir zwei immer als Anomalie sofort heraus. In einer Gruppe großer sportlicher Elfen, waren wir die Hobbits. Auch er hat schnell seinen Winkel gefunden, uns schulisch geholfen und hat auch viele Jahre den Besorger für wirklich alles gespielt.

Der unbekannte Marcel an seiner Seite, war mir im ersten Moment sympathisch. Er war nach einer Woche der geistige Anführer der Gruppe, uns allen in fast allen Bereichen weit voraus, ohne das jemals ausdrücken zu müssen. Marcel rettete der Gruppe in den nächsten Jahren mehrfach den Arsch in vielen Krisen und Situationen. Er war Mediator bei inneren Konflikten und hat allein mir mindestens zweimal den Anwalt gespielt beim Direktor-Vorsprechen. Manche Menschen haben solch eine Aura. Marcel hatte die und ich habe nie einen selbstloseren Menschen getroffen. Er hat versucht, mein Basketballspielen zu verbessern. Funktionierte nur so semigut. Aber selbst Marcel konnte Jahre später den Bruch der Gruppe nicht mehr stoppen, aber er hat verhindert, dass an einem Silvester mehr als einer der Gruppe im Krankenhaus landete.

Dieser eine erste Schultag nach den Ferien, war der mit Abstand beste. Es hat noch eine Weile gedauert, bis wir uns aneinander vollständig gewöhnt hatten, aber der Schulalltag machte ab diesem Moment wieder etwas mehr Spaß. Diese Gruppe war die folgenden 6 Jahre unzertrennlich und für viele irgendwas zwischen Support-Group, Elternersatz und Freunden.

Günni, Chris, Andre, Daniel, Stefan, Torsten, Marcel und ich. Für mich war das damals ein surrealistisches Ankommen. Ich war erleichtert. Alles sollte gut werden … für einen Moment.

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