
Der moderne Online-Artikel
Ben_ macht grad drauf aufmerksam, dass die Krautreporter live sind und lässt mich damit über die aktuelle Form des schnöden Online-Artikels philosophieren. Ich kann gar nicht einschätzen, wie sich mein Konsum diverser Online-Inhalte verändert hat. Langes Lesen kommt noch immer eher selten vor, aber darum soll es hier heute nicht gehen.
Inhalt
Ich freue mich, dass der durchschnittliche Online-Artikel – platziert auf der eigenen dedizierten Seite – in meiner Wahrnehmung durchschnittlich besser geworden ist, als es noch Jahre zuvor der Fall war. Sowohl Inhalt als auch Form haben sich massiv verbessert. Ein Suchen sie den Inhalt Teil 2 ist heute eher die Ausnahme als die Regel. Für mich existieren jedoch noch immer verschiedenste Ebenen für eben auch verschiedenste Inhaltsformen und Inhaltstiefen. Ein einziges Tageszeitungs Pendant ist für mich persönlich online noch nicht zu finden. Meine RSS Sammlung ist meine Tageszeitung und auch hier dominieren jene Quellen, die 99,9999% sicherlich nicht lesen möchten.
Hier sehe ich für mich ein Problem mit Angeboten wie Krautreporter. Am Ende des Tages ist auch dies eine Kleidergröße die allen passen soll, bei mir aber immer irgendwo kneift. Auch wenn Weblogs in der Wahrnehmung der Masse mehr und mehr an Bedeutung verlieren, so sind es die Seiten, wo vielleicht maximal eine Hand voll Personen ihren Schweiß und ihr Blut in digitale Werke verwandeln, die mich seit Jahren als Leser fesseln. Wo sonst findet man 30 Jahre später den Produktionsbericht eines Kultfilms, wenn nicht online in einem furchtbar gestaltetem Weblog?
Wenn ich mir vorstelle mit dem Schreiben und Produzieren diverser Online-Artikel meinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen, wird mir auf den ersten Blick Angst und Bange. Ihr verdient alle meinen höchsten Respekt, die diesen Druck aushalten. Plötzlich konkurriert man mit der gigantischen Masse aus Facebook und Twitter und Co. Rauschen, um ein paar Cents pro Klick, wenn überhaupt. Insofern ist der rein finanzielle Schritt hin zu einem direkten Bezahlmodell mehr als überfällig. Dann aber den Geschmack seiner Leser wieder und wieder zu treffen ist die nächste Herausforderung. Noch bin ich kein zahlender Unterstützer des Projektes, aber was nicht ist kann ja noch werden.
Und Form
Aus Sicht des Gestalters sehe ich wenig Innovation im Format des Online-Artikels. Egal ob kleines Weblog oder gigantische Medienbude, alle kochen mit qualitativ hochwertigem Wasser. Responsives Design hat der 1-Spalten-Taktik zum Sieg verholfen. Noch manchmal zögerlich eingesetzt, sind spätestens beim individuell gestaltetem Format alle potentiellen Ablenkungen entfernt. Wirklich fast jeder hat die Wichtigkeit von Hierarchie erkannt. Das Informationsrauschen existiert zwar noch hier und da, aber es blockiert selten den eigentlichen Inhalt.
Lesbarkeit ist besser geworden, aber noch immer werden die Details missachtet, auch beim Krautreporter Projekt ist es nicht anders. Für den seltenen Fall, dass ich hier mal längere Artikel anbiete, achte ich immer auf einen gewissen Rhythmus aus Absatz, Überschrift und Bild/Video. Ich persönlich verliere teilweise wieder und wieder die Ausdauer, Berge von Texten zu erklimmen ohne eine visuelle Pause zu bekommen.
Viele Seiten haben dafür die moderne Pullquote für sich entdeckt, die hübsch angemalt die Infanterie der Absätze flankiert. Es gilt: einfach einen schon gelesenen Textschnippsel, einfach noch einmal als Schmuckelement benutzen. Kann man machen, zeugt aber selten von Qualität. Wer noch Geld seiner Produktion übrig hat setzt vermehrt auf Verfilmung und Vertonung seines Artikels. Beim Guardian sind jetzt immer mal Hörspiel-Versionen einzelner Artikel direkt im Artikel eingebettet, was ich für eine sehr elegante und einfache Lösung halte. Bravo. Viele Seiten der Vox Media Gruppe, setzten da eher auf die Videofassung des gleichen Inhalts.
Alles in allem hat der schnöde Online Artikel heute mehr Variation, mehr Klasse, mehr Umfang und manchmal auch mehr Makel, als die Jahre zuvor. Ich finde jedoch, dass langsam aber sicher zu erkennen ist, dass auch dieses Medium reift und der Amateur Online-Artikel sich zum Profi mausert.
9 Kommentare
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global $hemingway ?>Ja, ja und nochmal ja, wie fast immer, wenn ich hier kommentiere. 😀
Ja. Die Tageszeitung ist tot. Wie könnte sie auch nicht?! Himmel, ein Feedreader ist drölfschrilljausenmal besser als jede Zeitung. Das kann man gar nicht oft genug sagen und den Leuten beibringen.
Und ja, ich finds ja in der Tat gut, sogar sehr gut, dass sich in den letzten 8 Jahren nicht sooo viel getan hat. Mit Ende dreißig in dieser Branche mal gefunden zu haben, dass sich ernsthaft bewährt hat und als tauglich erwiesen hat – das ist auch mal schön.
Ich habe mir bei Krautreporter gerade mal einen Artikel durch gelesen. Geht es nur mir so oder ist die Schrift dort fürchterlich am Monitor zu ertragen? Ich kann beim besten Willen keinen zweiten Artikel lesen.
@Benjamin Hmm stümmt. Muss ein Windows-Effekt sein, irgendwie verträgt sich die Windows Schriftglättung nicht so gut mit dem gewählten Font der Seite.
Was mir bei der KR richtig gut gefällt: Die Kommentare sind erst sichtbar, wenn man Mitglied wird. Und so entfällt dieser Teil, herrlich. Es gibt wenige Seiten, wo ich diesen Teil mag, bei großen Anbietern will ich diesen Teil nie lesen, rutsche aber immer wieder rein und komme nur verärgert wieder raus.
Kommentare sind auch ein tolles Thema. Es gibt kaum noch nicht-private Seiten, bei denen ich die Kommentare überhaupt noch lese. Es klingt immer so abgedroschen, aber auch hier hat sich das Niveau in den letzten Jahren verschlimmbessert, hin zu einer „140 Zeichen ohne Nachzudenken“ Formel.
Nicht grundlos gab (und gibt?) es auch einen Trend, auf eine Kommentarfunktion komplett zu verzichten und den Sondermüll Kommentare auf die Müllkippen diverser sozialer Netzwerke zu verlagern. Schade eigentlich.
Sondermüll 🙂 Ich weiss nicht, warum es zu allem und jedem Artikel Kommentare geben muss. Du kannst einen Adapter, um Kabel aus 90ern zu verbinden. bei Amazon suchenund es gibt 20 Leute, die das Ding kommentiert haben. Leidenschaftlich mit mehr als 1400 Zeichen. Wie viel Zeit das verschlingt, bei der Masse, diesen Sondermüll zu erzeugen. Gibt es das Zahlen zu?
@Peter: Ich hatte mal Zahlen von Zeit Online und der Welt auf dem Schirm, das ist aber leider zu lange her (ca. 2010). Die waren aber damals schon absurd. Bei der Welt war das glaube ich eine mittlerer zweistellige Zahl an Moderatoren, die rund um die Uhr im Einsatz waren. Bei Zon irgendwas zwischen 20 und 30. Alle Leute die nichts anderes machen, als den Sondermüll zu moderieren. Unfassbar! Was für eine Verbrennung von Arbeitszeit!
Meine These: Kommentare haben Foren als verbale Müllkippe abgelöst. Allerdings bleibt es auch immer eine Frage der selbst gerufenen Geister. Beispiel? Keine Ahnung ob beim AV Club moderiert wird, aber die Qualität der Kommentare dort überrascht mich immer wieder positiv. Allerdings dreht sich hier auch alles um die unwichtigsten Themen des Lebens und weniger um Religion und Politik.
Ich habe auch ein paar verschiedene Blogs. In einigen ist es mit den nutzlosen Kommentaren allerdings so schlimm geworden, dass ich bei einzelnen Posts die Kommentare abschalten musste. Bei meinem neuen BW Projekt habe ich mich allerdins erstmal dafür entschieden ganz ohne Kommentarfunktion auszukommen. Das Thema gibt es einfach nicht optimal her. Bei meinen anderen Blogs wäre es ingegen gerade zu langweilige, würde ich keine Kommentare erhalten: Also- Kommentaren nützen ja auch, da Sie frischen Content liefern und der Long Tail Keywortanteil steigt…