
Langes Lesen und andere kalte Gerichte
Einer der wenigen lesenswerten Artikel der vergangenen Tage, dreht sich um eine Form des geschriebenen Online Artikels, der auch mich wieder und wieder zum Schreiben, Grübeln und Kommentieren bringt. When ‘Long-Form’ Is Bad Form sucht die Frage, welche viele Tausend Wörter lange Artikel beantworten möchten. Der Long Form Artikel stammt aus einer anderen Zeitepoche. Ein teuer bezahltes und gedrucktes Magazin, sucht im Format sein geschriebenes Produkt zu liefern. Es ist die journalistische Kurzgeschichte. Mal mehr mal weniger Nische, immer jedoch als länger zu genießendes Leseerlebnis. Ich selbst war und bin riesiger Fan des Formats. Ab und zu krame ich eine alte Ausgabe meiner letzten verbliebenen Magazine heraus und erlebe eine kleine Zeitreise. Wenn ich anschließend ein ähnliches Format online genießen soll, stellt sich schnell die Ernüchterung ein.
Ablenkungsfrei
Warum funktioniert Long Form in seiner digitalen Funktion nur so eingeschränkt? Ein gedrucktes Long Form Format, genießt eine relativ ablenkungsfreie Aufmerksamkeit des Lesers. Lesen als Erlebnis, ist bei mir ziemlich anfällig für Störungen, genau jede ablenkende Faktoren, die das digitale Erlebnis Long Form für viele Leser nicht funktionieren lassen. Schon ein einzelner Link innerhalb des Artikels ist der potentielle Sargnagel für den Fokus des Lesers. Vielleicht existiert sogar eine Plattform für solche Inhalte, aber eine aktuelle Nachrichtenseite, oder der durchschnittliche Weblog sind es definitiv nicht. Ich möchte behaupten, dass ein Long Form Format für das geschriebene und digital dargestellte Wort grundsätzlich nicht funktionieren kann. Vielleicht für wissenschaftliche Texte, aber nicht zur puren Unterhaltung.
Multimedia und Long Form passen einfachen nicht zusammen. Viel mehr lösen Filme den episch geschriebenen Artikel ab. Ich selbst kann mich dem leider nicht entziehen, warum auch? Es ist einfach menschlich, sich weniger einfach vom bewegten Bild ablenken zu lassen. Einfaches Beispiel? Polygons aktuelles Broken Age Review. Wenn ich die Chance habe das Review nur zu lesen oder einfach faul als Filmchen zu erfahren, welche Möglichkeit wähle ich als Sklave des geringsten Widerstands? Natürlich benutze ich gern mehr als einen Sinn, um schneller ans Ziel zu kommen.
Video ist für mich die Zukunft des Long Form Formats. Wer eine Zukunft in digitalen Inhalten sucht, sollte weniger Autor und mehr Video Producer werden. Ich möchte nicht behaupten, dass reine, geschriebene Wort wäre tot, aber fein konstruierte, lange Texte, haben als Unterhaltungsformat im Netz für mich keine rosige Zukunft mehr. Es ist kein Fehler der Autoren, es ist einfach Effekt des Mediums. Wenn plötzlich die Infrastruktur für toll produziertes, ansehnliches Video vorhanden ist und ich nicht mehr auf Daumenkino Format Real Player Filmschnippsel Minuten lang warten muss, dann verliert das rein geschriebene Wort zur Unterhaltung leider an Wert.
Digitale Long Form lebt, nur eben in einer anderen Form: geschrieben, editiert, gefilmt, nachbearbeitet, eingesprochen, geschnitten, vertont und abgemischt.
3 Kommentare
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global $hemingway ?>Ich bin ja just in den Besitz eines E-Readers gelangt und kann schon mal sagen: Die Long-Form selbst ist nicht das Problem. Der Kontext ist das Problem ein Desktop-Browser und ein Smartphone sind halt beide – genau – wie Du geschrieben hast, ablenkungsreiche Kontext. Mal schauen, ob ich mein Word-Press-RSS-Reader-Plugin auch noch um einen täglichen E-Pub-Export ergänzen kann. 🙂
Speziell im amerikanischen Umfeld ist mir aber auch noch eine andere Unsitte aufgefallen: Die neigen zum Schwafeln. Es ist mir schon mehrfach auf Seiten wie Wired oder dergleichen aufgefallen, dass die selbst relativ simple Dinge zu elend langen Texten aufpusten, ohne das es irgendwie einen Sinn erkennen lässt. Lange Texte um des langen Textes willen. Kommt auf den Punkt, verdammt!
Es gab da z. B. mal so einen Artikel, in dem es darum ging, das in öffentlichen Behörden die in den USA ansonsten ziemlich weit verbreiteten Türdrehknaufe abgeschafft werden sollen. Mich hat nur eine Frage interessiert: Warum? Und um diese simple, naheliegende Frage beantwortet zu bekommen, musste ich einen elend langen Artikel überfliegen, bis dann der Grund für die Entscheidung irgendwo im letzten Viertel mal erwähnte wurde.
Was ich meine: Wenn man lange Texte schreibt und die sind nicht fesselnd – dann liest die halt keiner. Dieser Grund wird bei solchen Betrachtungen aber häufig außen vor gelassen.
Erstaunlicherweise fand ich epische Online Texte über Belangloses teilweise wirklich unterhaltsam. Ich halte es sogar für eine Kunst. Pop Literatur handelt nach dem Prinzip und funktioniert für viele Menschen eben, weil Lesen abseits des Bildschirms fokussiert stattfinden kann. Schade eigentlich, oder vielleicht auch nicht.