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Anticitizen One

Fünf Jahre Half-Life 2

Anticitizen1

Vor knapp fünf Jahren erschien Half-Life 2. Ich habe lange überlegt, ob und wie ich dem Titel einen Eintrag widmen soll. Gründe gibt es genug, aber das Wie ist schon schwieriger. Ich kann kaum noch etwas Neues zum Thema hinzufügen. Der alternative Titel lautet übrigens Citizen Game als Anlehnung auf die Frage, wann das Medium Videospiel wohl sein Citizen Kane bekommt – es hat es schon längst.

Wo ansetzen? Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich den ersten Teil zu seiner Zeit damals gespielt habe. Die Serie hat bei mir also seine Spuren hinterlassen. Eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, wie man Teil 1 abseits des Mediumstandards toppen kann. Das erste mal, dass ich von diesem Titel wirklich gepackt werden konnte, war seine Demonstration auf der E3 2003. Seitdem hat mich nichts mehr wirklich beeindrucken können. Wer sich an die Bilder und Filme damals erinnert, wird die Eindrücke von damals schnell abrufen können. Während noch heute schön vorbereitete Trailer mit aufwendigen Cutscenes zur Vorstellung neuer Titel genutzt werden, zeigte man bei HL2 einfach nur echte Spielszenen, eine Fußmarke, die der Serie ewig Substanz verleihen soll.

„You are the Freeman“

HL2 ist meine Messlatte für interaktives Geschichtenerzählen. Mittlerweile erstreckt sich die Handlung über einen beachtlichen Umfang und zu keiner Sekunde nimmt man dabei dem Spieler das Steuer aus der Hand. Half-Life kennt keine CutsCene im eigentlichen Sinn. Die Kamera wechselt nie vom Auge des Spielers. Gordon Freeman ist der Spieler, ein winziges Detail, dass die Serie so unverwechselbar macht, in einer Zeit als das Genre im Sog der generischen Aufgüsse untergeht. Half-Life bleibt auch im zweiten Teil seiner Linie so verdammt treu, dass mir als Spieler erster Stunde warm ums Herz wird.

Das Spiel überspringt auch keine Geografie oder Zeit. Jeden Schritt der Handlung, muss man als Spieler tätigen. Es gibt kein Zurücklehnen und überproduzierte Filmchen genießen. Wer mehr erleben möchte muss die W-Taste drücken. Das macht diesen Teil so furchtbar altbacken aber eben auch einzigartig. Kombiniert man dieses Detail mit der Größe des Spiels ist Half-Life 2 ein wirkliches Abenteuer, eine Achterbahnfahrt ganz alter Schule. Was man im zweiten Teil alles sieht, unternimmt, rettet, beschützt und erobert würde den Umfang dieses Textes sprengen.

„We Don’t Go To Ravenholm…“

Die größte Errungenschaft von Half-Life 2 sind seine virtuellen Protagonisten, die dem Spieler zur Seite gestellt werden. Selbst heute, schafft es kaum einer dass Niveau einer Alyx Vance zu erreichen. Mimik, Gestik, Text, Stimme, Optik, alles ist stimmig. Spätestens am Ende der zweiten Episode, erntet Valve die Früchte jahrelanger Arbeit und darf sich mit der einzigen emotionalen Szene in einem Spiel brüsten, die bei mir funktioniert (ab Minute 5:20 im folgenden Video und größter Spoiler der Serie). Wichtige Zutat sind hier professionelle (englische) Sprecher, saubere Textzeilen und eine stimmige Optik. In diesene Charakteren steckt viel Arbeit, vor der man im Buch zum Spiel einen kleinen Eindruck bekommt.

Alyx Vance ist nur die Spitze des Eisbergs. Alle Charaktere in HL2 glänzen und hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Father Grigori ist der einzige Grund das Ravenholm-Kapitel zu spielen. Mit Alyx‘ mechanischem Schoßhündchen Dog hat man klar den besten Sidekick-Roboter überhaupt geschaffen. Ich kenne nicht mal einen Film, der hier besseres Material liefert. Überhaupt weiß man die Figuren sehr gekonnt zu dosieren. Es gibt immer wieder Abschnitte, in denen man als Spieler allein ist, um sich dann umso mehr über den virtuellen Beistand zu freuen. Besonders in den letzten Episoden ist dies auffällig, wie gezielt hier der Rhythmus verändert wird. Spätestens wenn Dog in Episode 2 seine großen Auftritt hat, wird man nur breit grinsend vor HL2 sitzend.

erwachsene Inhalte und Optik

Prangt auf einem Spiel heute ein „ab 18“-Sticker, dann bedeutet dies in neun von zehn Beispielen völlig überzeichnete Gewaltdarstellungen, aufgesetzte Sprache mit vielen F-Wörtern und entblöste virtuelle D-Körbchen seiner Barbie-Darsteller. Das sind keine erwachsenen Inhalte, sondern das Bedienen von feuchten Träumen der pubertären Zielgruppe. Egal wie verkrampft man sich als erwachsener Inhalt etablieren möchte, die meisten versagen kläglich. Half-Life 2 war von Anfang an der realistischere Ableger des Marktes. Die Serie lizensierte zu Beginn eine Engine (Quake), die noch heute stilistischer Prototyp für das Genre ist. Valve wusste, wie wichtig es ist sich hier in jeder Form zu distanzieren. Dazu gehören realistische Charaktere in einem überzeugendem Setting. Mehr braucht es nicht. Jeder Aspekt des zweiten Teils wirkt so ungezwungen, wie schon beim Vorgänger.

Es gibt wenige Titel, der ihre Figuren in realistischeren Proportionen darstellen. Ich erinnere mich noch (und das muss jetzt mindestens sieben Jahre her sein) an ein Forum für digitale Kunst. Das war grad zu meiner Möchtegern-Spielentwickler-Phase. Dort zeigte man seine Arbeiten um wirklich gute Kritik zu bekommen. Dort zeigte auch der Kopf des Forums seine Arbeiten. Er sei Konzeptkünstler für ein kommendes Spiel. Alles was er dort zeigte sollte sich als Concept Art für HL2 herausstellen. In Zeiten einer völlig austauschbaren Optik bekannter Genrevertreter, kann sich HL2 abheben. Hier hat jemand eine wirklich frische und markante Optik geschaffen. Der Art Director für HL2 ist osteuropäischer Herkunft, was meines Wissens nach einmalig für ein westliches Studio ist und sich hier auszahlt.

das nicht perfekte Spiel

Ich glaube HL2’s Charme liegt auch darin, dass es viele Schwächen besitzt, welche die guten Seiten noch heller strahlen lassen. Es hat einen wirklich antiquierten Aufbau und schreckliche Jump’n’Run Passagen, aber eben auch die beste Waffe des Genres (wann konnte man schon mal riesige Käfer auf seine Gegner hetzen) und eine zweite Spielhälfte, die für die anfänglichen bester Ausgleich ist. HL2 macht es einem wirklich einfach es zu mögen, besonders auch in den folgenden Episoden. Dass Valve sich im Zeitplan völlig verstrickt hat, ist schade aber nachvollziehbar. Wir warten auf Episode 3 und warten und warten und warten…

Wie im ersten Teil fügt auch HL2 dem Genre viele neue Standards hinzu. Sowohl das Medium, als auch das Genre hat sich in den letzten fünf Jahren verändert. Half-Life als Konzept ist ein pures PC-Produkt, dass sich schon in den folgenden Episoden verändert hat und Teil 2 zu einem letzten Vertreter seiner Art macht. Half-Life 2 ist das letzte große erfolgreiche und pure PC-Single-Player FPS, das seine Gene längst weitervererbt hat und dann verstorben ist. Worin diese Serie noch immer brilliert ist sein Lego-Ansatz, immer neue Dinge aus den wenigen Zutaten des Genres zu basteln und damit einen Spannungsbogen für viele Stunden zu halten. Half-Life 2 wird auch in weiteren fünf Jahren noch großartige interaktive Unterhaltung sein.

5 Kommentare

Für diesen Eintrag wurden die Kommentare geschlossen.

  • #1
  • Mi, 11. November 2009
  • ben_ schrieb:
  • #2
  • Di, 17. November 2009
  • OptimusWarrior schrieb:
Webmaster
  • #4
  • Mi, 18. November 2009
  • OptimusWarrior schrieb:
Webmaster