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Fremdschämen als Nationalsport
  • Fri, 27. March 2009
  • 2 Kommentare

Fremdschämen als Nationalsport

Man hat als Medienkonsument in den letzten 4 Wochen einiges aushalten müssen. Hinzu kommt, dass ich als primärer Internet-Nutzer, immer nur den Gipfel des Eisbergs präsentiert bekomme. Die peinlichsten Sekunden werden als Mittags-Snack bei YouTube, völlig aus ihrem Kontext gerissen, präsentiert. Da sahen wir die völlig überforderte Moderatorin, die live kommentieren sollte, was niemand in Worte fassen kann. Dieser Situation ist Symbol für alles was in den letzten 20 Jahren in nicht nur bei uns in Deutschland schief gelaufen ist.

Es ist zur Unterhaltung geworden, einem Menschen beim Versagen zu beobachten. Mehr als die Hälfte aller TV-Inhalte dreht sich praktisch nur noch um das Testen der menschlichen Würde. Wie weit gehen Zuschauer und Kandidaten/Gäste mit?

Fremdschämen bezeichnet diese unangenehme Mischung aus Mitleid und Verachtung. Ganze Doktorarbeiten scheinen sich dem Thema gewidmet zu haben und beschreiben penibel, wann und wie die Würde des Menschen der Unterhaltung geopfert wurde. Es gibt viele Fragen dieser Tage. Warum erschießen sich Schüler gegenseitig? Warum dürfen einzelne über das finanzielle Schicksal ganzer Statten entscheiden? Alles lässt sich irgendwie auf dieses Thema zurückführen.

Wenn man zur besten Primetime sehen darf, wie das Versagen glorifiziert wird, dann spricht das Bände. Es interessiert nicht mehr, was da für ein Mensch ist, der von moderner Ppopmusik unterlegt, Tränen über die eigene Leistung verliert. Der seelenlose Cutter dieser Sendung zeichnet ein abstrahiertes Bild, leichter zugänglich als die Realität. Dies ist ein Comic ohne gezeichnete Bilder. Es ist einfach, es ist erfolgreich, es ist verachtenswert.

Man muss keine Gesetze ändern, um Auswüchse einer Gesellschaft zu begrenzen, die sich im Kern mehr und mehr dem Mittelalter nähert. Ich bin mit einem Fernsehen aufgewachsen, dass verglichen mit heute praktisch pures Bildungsfernsehen war. Meine prägenden TV-Jahre waren dominiert von dem, was man heute überhastet als Sitcom entwertet. Es waren 24 Minuten, in denen noch wirklich Werte vermittelt wurden. Es war Unterhaltung, in der sich die fiktionale Familie noch umeinander sorgte und nicht gegenseitig verklagte, beschimpfte, nachstellte und erniedrigte. Solche Vorführungen sind schlimmer als alle Killerspiele zusammen.

Fremdschämen ist Zeitgeist. Es scheint Balsam für die geplagte Seele der Leistungsgesellschaff. Es ist mediales Opium für die Unterschicht und es ergänzt sich so wunderschön mit der Senstationslust, was man praktisch abartig perfektioniert im Winnenden-Fall erleben durfte. Man musste sich entscheiden für wen man sich mehr schämen sollte: den Reporter oder den antwortenden Bürger. Versagt haben alle Regeln des gesunden Menschenverstandes bei beiden.

  • Schlagwörter:
  • Fernsehen,
  • Rant,
  • Zeitgeist.

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2 Kommentare

Für diesen Eintrag wurden die Kommentare geschlossen.

  • #1
  • Tue, 31. March 2009
  • ben_ schrieb:

Punkt.

Allein, was hier Ursache und was hier Wirkung ist, ist glaube ich nicht so einfach zu sehen. Das ist eine der Lehren, die die Journalismus-Forschung aus dem Vietnamkrieg und der Rolle der Medien darin gezogen hat: Die Stimmung im Land ist nicht wegen der Berichterstattung gegen den Krieg gekippt, sondern sie haben sich parallel gewandelt. Journalismus von bewirkt alleine nichts, was nicht schon wenigstens als Anlage in der Gesellschaft vorhanden ist. Häufig ist Journalismus nicht mehr als ein Spiegel.

Wenig verwunderlich eigentlich, bedenkt man dass doch auch der Journalismus nicht außerhalb des Kapitalismus lebt.

  • #2
  • Thu, 02. April 2009
  • Caelestis schrieb:

Ich finde es geschmacklos was in der letzten Zeit im deutschen TV läuft. Angefangen bei der Super Nanni wo überforderte Eltern sich selbst vor der gesamten Nation lächerlich machen, über Gerichtsvollziehershows bis zu der Berichterstattung von Winnenden.Daher bleibt mein Fernseher bis auf Fußballübertragungen und der täglich Folge South Park aus.

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