Joost Beta – Fernsehen am Monitor
Seit knapp 6 Wochen darf ich nun Joost in seiner Beta Version testen. Hier deshalb mal ein paar Worte dazu. Joost schickt sich an, auf den populär gewordenen Internet-Video-Zug aufzuspringen. Während deutsche Privat-Fenseh-Sender das Thema mit Uralt-Formaten auszunutzen versuchen, geht Joost den genauen Gegenweg und versucht primär klassische Fernseh-Inhalte über das Internet anzubieten. Keine verwackelten Videos mehr von Tritten in die Leistengegend, keine winselnden Emo-Kids vor abgedunkelten Wänden, sondern echte Fernsehformate. Die offizielle Beschreibung lautet wie folgt:
Joost is a new way of watching TV on the internet, which uses new and established technologies to provide the best of both the internet and TV worlds. We’re in the process of making it as TV-like as we can, with programmes, channels and adverts. You can also see some things that we think will enhance the TV experience: searching for programmes and channels, for example, as well as social features like chat. There are many more new features to come!
Joost setzt dabei auf das Prinzip des Streaming-Videos. Während ein Video lädt, ist es schon zu betrachten. Ein Nebeneffekt davon ist die Verwendung qualitativ besseren Materials, als es der Durschschnittsnutzer so von YouTube und Co. gewohnt ist. Nachteil auf lange Sicht sind die sehr hohen Datendurchsatzraten die dadurch entstehen. Joost selbst spricht von 1GB für 10 Stunden Nutzung des Programms, definitiv weit mehr Daten als der durchschnittliche Internet-Nutzer durch seine Leitungen jagt. Mit Ausblick darauf, dass man die Videoqualität weiter verbessern möchte, wird sich die Datenrate sicherlich nicht reduzieren.
In dieser Art navigiert man zwischen den Inhalten. Was z.B. bei der Auswahl der eigentlichen Sendungen fehlt ist eine simple Datums-Angabe. Nicht bei allen Sendern erschließt sich die Reihenfolge der Inhalte so selbstverständlich wie auf diesem Screenshot.
Ich nutze Joost mit einem üblichen Standard DSL 1000 Anschluss. Was auf den ersten Blick zu schwachbrüstig für Joost klingt, entpuppt sich doch als sehr brauchbar, zumindestens bis zum letzten Update der Beta. Pro Sendung/Film gibt es eine Wartezeit von 30 Sekunden bis maximal 2 Minuten. Anschließend fallen keine Pausen mehr auf. Ausnahme bilden die Werbespots. Oh das böse Wort Werbung. Ja Joost streut Werbung in sein Programm. Man darf sich auf einen 10-20 Sekunden Spots, pro 15 Minuten normaler Sendezeit freuen. Ein notwendiges Übel, schlimmer als keine Werbung, weit entfernt vom Werbe-Terror des deutschen TVs.
Video-Qualität
Joost ist kein weiterer überflüssiger YouTube-Clone, was man spätestens an der Qualität des Videomaterials erkennen wird. Um einen ungefähren Vergleich zu bekommen krame ich nochmal diesen alten Link hervor. In dieser Qualität sollte man sich Joost vorstellen.
Die Grundlage für Joost-Videos ist halt eine andere. Hier senden keine Privat-Leute Handy-Schnipsel ein, sondern Joost verlangt sogar weit höhere Bitraten beim Quellmaterial, als letztendlich gesendet werden. Das Ergebnis ist eine Qualität die dem normalen PAL-Video Format entspricht, zwar mit normalen Kompressions-Artefakten aber besser alles andere, was man momentan so an Internet-Videos vorgesetzt bekommt.
User Interface
Joost UI ist sehr Web 2.0-like, sprich große Fonts, alles schon bunt und abgerundet. Wer einmal Apple’s Frontrow in Aktion gesehen hat, wird hier Ähnlichkeiten entdecken. Für meinen Geschmack sind die Funktionen alle einen Hauch zu tief im Interface versteckt. Mehr als einmal hab ich mich beim Suchen der typischen Fenster-Klicks erwischt.
Main-Panel
Das Bild hier zeigt den Teil des UIs, der am meisten benutzt werden dürfte. Wir sehen hier keine Beschriftung sondern ein Chaos aus mittelmäßigen Icons. Wie man zwei völlig verschiedene Funktionen wie Stand-By und Fenstermaximierung direkt nebeneinander, mit solch generischen Icons anlegen kann, ist mir völlig rätselhaft. Da läuft das UI-Design noch mächtig schief.
Zwar mögen Icons immer schicker als öde Schrift aussehen, aber die Funktion von Schrift als Navigations-Element ist fast immer fehlerlos. Bis man sich an das Joost-UI gewöhnt hat, darf man munter über die Icons fahren und auf ein Pop-Up zur Erklärung der Funktion warten. Hier muss Joost noch besser werden und zum Beispiel, Icon stärker mit Farben variieren, als auf diese Duo-Ton-Gestaltung zu setzen.
Inhalte und Features
Neben den reinen Video-Inhalten bietet Joost aktuell sogar schon Ansätze von Altersbeschränkungen bzw. Kontrolle für bestimmte Inhalte. Ebenfalls darf man mit den üblichen Web-Features rechnen, die der Autor hier auch bei Joost komplett ignoriert. IM, Chat und User-Wertung waren vor 10 Jahren vielleicht noch interessant und frisch, nun sind sie eher nettes Beiwerk zum eigentlich Kern der Software.
Definitiv krankt Joost logischerweise noch an der Qualität und der Variation seiner Inhalte. Zwar erwarte ich keine AAA-Inhalte ala Lost oder 24, aber etwas mehr als Poker-Spiele, Bodybuilding-Wettbewerbe, diverse Dokus, Videomagazine und andere Nischen dürften es schon sein. Ich schau ja nun schon jeden Dreck, aber bei Joost werden sogar meine Grenzen erreicht. Empfehlenswert sind zur Zeit der Doku-Channel und der Indie-Channel, der durchaus sehenswerte Indie-Filme zeigt, welche es locker mit jeder deutschen TV-Produktion aufnehmen können.
Der Massengeschmack wird zur Zeit jedenfalls noch nicht bedient, aber das braucht Joost für mich auch nicht…
Zu vielen Inhalten gibt es die Option zusätzliche Informationen einzublenden. Idee gut, Ausführung schlecht. “Randinformationen” nimmt man hier wortwörtlich und quetscht diese an den Rand des Fensters.
Online-Video allgemein
Das Thema Internet-Fernsehen ist für mich deshalb so spannend, einfach weil ich eben den üblichen TV-Inhalten absolut nichts abgewinnen kann. Mein Geschmack wird im deutschen TV nicht bedient. International bietet sich hier schon eine viel größere Auswahl, ich scheue keine englischsprachigen oder untertitelten Inhalte. Sofern man dazu bereit ist, öffnen sich einem Räume, die deutsche TV-Produzenten in 10 Jahren nicht betreten werden.
Und genau hier wird sich das Internet-Fernsehen auch platzieren müssen. Man kann hier nicht mit verstümmelten Inhalten kommen, sondern nur mit solchen, die im klassischen TV keine Chance auf ein Sendefenster haben. YouTube’s Erfolg basiert doch nicht auf verpixelten Daily Show’s, sondern auf verpixelten Tritten in die Leistengegend der Amateur-Darsteller, etwas was das Zuschauer-Auge im TV nicht sehen kann.
Einfache Spielerein wie RSS-Feeds lassen sich bereits dank Widgets in Joost darstellen.
Zusätzlich zum reinen Inhalt, kommt das unschlagbare Argument der komfortablen Nutzung. Ich kann mich 5 Minuten hinsetzen und das sehen was ich möchte. Ich bin nicht gezwungen einen Termin einzuhalten. Ich kann das traditionelle Fernsehen nicht pausieren, Joost erlaubt es. Diese Vorteile muss ipTV ausspielen, in der Qualität wird man den Kampf um die Masse gegen das klassische TV nicht gewinnen. Mich kann man mit Dokumentation über Stuntmen in asiatischen Kung-Fu-Filmen unterhalten, den Zuschauer von Quoten-Rennern wie “Deutschland sucht die nächste Medien-Hure” nicht.
Jeder der glaubt bald HD-Inhalte mit Zusatz-Infos über seine DSL-Leitung ins Haus zu bekommen, sollte allerdings realisieren, dass die Infrastruktur lange nicht ausreicht um solche Datenraten für jeden Haushalt zu realisieren. Bei 1GB für 10 Stunden Video pro Haushalt, kolabiert selbst das antik-moderne Netz der deutschen Telekom. Der Traum von HD-TV über das Internet wird noch eine Weile ein Traum bleiben.
Was ich mir langfristig von der Verschmelzung von TV und Internet erwarte, sind keine sinnfreien Zusatzinfos oder ähnliches, sondern einfach der Zwang auf klassische Sendeanstalten andere Bezahlmodelle anzubieten, auch mit Nachdruck von Torrents und Co. Es ist irre, was TV-Sender vom Zuschauer verlangen. Für den Bruchteil der Inhalte, die mir im deutschen TV gefallen, möchte ich nicht in Werbung ersticken oder Musikantenstadl mitfanzieren. Ich möchte meine wenigen Sendungen/Serien dann sehen wenn ich es möchte und bin dafür auch mehr als bereit zu zahlen. Ich sehne den Tag herbei, dass iTunes auch hier in Deutschland TV-Inhalte anbietet, wodurch man den Luxus von On-Demand genießen kann, ohne in die rechtliche Grauzone BitTorrent gezwungen zu werden.
Beta 0.9.2 und Fazit
Seit Anfang April gibt es eine neue Beta-Version, die ein paar Veränderungen im UI und in Inhalten mit sich bringt. Nebeneffekt zumindestens bei mir sind seitdem längere Wartezeiten beim Streaming. Das kann entweder ein einer gestiegenen Video-Rate liegen oder einfach auch an der immer größer werdenden Menge der Beta-Tester. Man merkt deutlich, dass Joost die Beta-Phase gut nutzt, um sinnvoll sowohl Inhalte, Funktionen und auch Performance zu skalieren versucht.
Integriert sind auch ganz klassische Web-Features wie IM, Chats oder User-Bewertung.
Ich kann schwer einschätzen ob Joost ein kommerzieller Erfolg sein wird. Es ist der Versuch das klassische werbefinanzierte TV-Modell auf das Internet zu übertragen. Fakt ist ich werde Joost sicherlich regelmäßig nutzen, so wie ich auch Podcasts höre und sehe. Der Unterschied ist, Joost braucht viele Nutzer, mehr als irgendeine kleine Podcast-Plattform, um finanziell bestehen zu können. Joost ist eine durchaus funktiorende Plattform für gehobenere Inhalte, als man dies von 99% aller Podcasts und YouTubes gewöhnt ist.
Joost lebt allerdings auch davon, dass seine Partner mitspielen und munter Inhalte liefern, die die Nutzer sehen wollen. Hier wird das größte Problem der Plattform liegen, eben mit den Brocken die man hingeworfen bekommt, Nutzer bei der Stange zu halten. Allerdings bin ich zuversichtlich, dass Joost für alteingessene Sendeanstalten eher die Wahl ist, als Youtube. Inhalte können hier angemessen an den Nutzer übermittelt werden, inklusive einer besseren Kontrolle darüber.
Ich hoffe sehr das Joost sich einen Namen machen kann. Die Software funktioniert und macht einfach mehr Sinn als die x-te YouTube-Kopie. Auch wenn die Beta noch viele Macken zu beheben hat, es macht Spaß Joost zu nutzen und das ist in meinen Augen immer ein gutes Indiz für eine gelungene Software. Daumen hoch.
6 Kommentare
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Nachdem heute sogar in unserer Marketing-Vorlesung darüber gesprochen wurde, habe ich mir das ganze nochmal genauer angeschaut 😉
Kann nur hoffen, dass das Konzept Erfolg hat. Würde mir, als jemand der nur “internationales” Fernsehen schaut, sehr zusagen. Falls jemand einen Beta-Invite für mich übrig hat, würds mich freuen.
grüße Hagen
Ich bin mir grad unsicher, aber glaube noch ein paar Invites offen zu haben. Werde heute Abend mal schauen, sollte aber klappen. Mail-Adresse bräuchte ich dann noch, am besten Mail an webmaster@coldheat.de.
Wow, das wurde auch langsam mal Zeit, dass das Fernsehen mal etwas aufgemischt wird. Bin schon sehr gespannt wie sich das entwickeln wird und wann die Beta-Phase abgeschlossen sein wird.
Wenn Euch das Thema interessiert, Joost, das neue p2p Fernsehen der Zukunft und ihr auch zu den Betatester dazugehören wollt, dann schaut mal hier….
http://www.TvJoost.dehttp://www.tvjoost.de/index.php?option=com_wrapper&Itemid=49
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