Videospielende Rezession
Die letzten Wochen sind voller Negativmeldungen. Auch die Industrie um Videospiele bleibt hier nicht verschont und während die Branche zwar Rekordumsätze verkündet und sich damit gegenüber anderen Unterhaltungsmedien sehr gut positionieren kann, haben alle großen Publisher diese Generation falsch eingeschätzt. Die aktuellen Schließungen von Studios und Projekten sowie Entlassungen von Entwicklern, haben weniger mit der globalen Finanzkrise zu tun und mehr mit selbst gemachten Fehlern in den letzten 24 Monaten.
Das Thema sei vollsändig gelöst von der Frage nach der Qualität der Produkte. Hier soll es einzig um die Wirtschaftlichkeit gehen. Fangen wir mal mit ein paar einfachen Zahlen an, die den aktuellen Markt um Videospiele ganz einfach illustrieren sollen. Gamasutra hat gestern Zahlen veröffentlicht, die den US Markt für 2008 zeigen. Ich bin so frei und bediene mich mal dieser Zahlen:
Was wir hier sehen ist die Verteilung aller verkauften Spiele auf dem US-Markt für das Jahr 2008. Fast jedes zweite verkaufte Spiel war für eine Nintendo Plattform bestimmt. Schaut man sich nun an, in welcher Form die großen Publisher diese Plattformen untertstützen, findet man schnell den Grund für die aktuelle Schieflage. Selbst nach weit mehr als 12 Monaten ignorieren viele Publisher einfach den lukrativsten Markt, solche Fehler werden bestraft.
Im Gamasutra-Artikel werden auch noch die Software-pro-System-Raten genannt, ein Punkt den viele Zweifler von Nintendo immer als Totschlagsargument bringen möchten. Die nackten Zahlen jedoch zeigen eine 6 Spiele pro verkauftem Wii. Damit befindet man sich auf einem Niveau mit der PS3 und braucht sich selbst gegen XBOX360 (8.0) nicht verstecken. Diese Zahlen sind jedoch nur Symptome des Problems, die Ursachen liegen weiter zurück.
die nächste Generation die keine ist
Alle großen Publisher sind diese Konsolengeneration mit dem alten Weltblick angegangen: unsere Kunden sind 14- bis 24-jährige männliche Spieler, die immer realistischere Gewalt auf dem Bildschirm sehen möchten. Der Trend war dabei zumindestens hier in Europa und in Japan schon die Generation davor zu sehen, als Casual-Games auf der PS2 eine völlig andere Zielgruppe fanden und sich sehr gut verkauften. Das alte Weltbild hätte noch funktionieren können, wenn Sony’s PS3 einen ordentlichen Start hingelegt hätte. Auch Sony ist maßgeblich an der aktuellen Situation beteiligt. Wie man innerhalb von 12 Monaten eine absolute Marktdominanz verlieren kann, hat Sony eindrucksvoll bewiesen.
Viele Publisher jedoch haben darauf gebaut, dass die PS3 so erfolgreich wird, wie der Vorgänger, was man ihnen nicht vorwerfen kann. Statt jedoch auf Nintendo’s bis dato unsicheres Pferd zu setzen, pumpte man zwangsweise Millionen in R&D für XBOX und PS3. Hier greift das Prinzip UMTS-Versteigerung, als die deutsche Bundesregierung die Katze im Sack verkaufen konnte. Niemand wusste wie sich der Markt entwickelt, aber alle wussten wer kein Geld hineinpumpt verliert. Diesen Prozess sahen wir bei jeder anderen Konsolengeneration zuvor. Bisher hat sich das auch immer ausgezahlt, diesmal jedoch waren die Summen einfach zu hoch. Der finanzielle Krieg um AAA-Titel ist mittlerweile so brutal, dass auch der Gewinner verliert.
Segmentierung
Der Markt um Videospiele war schon 2008 ein völlig anderer, als alle Generationen zuvor, was Publisher in eine Ecke drängt, aus der man nur schwer wieder herausfinden kann. In der aktuellen Marktsituation ist es sehr schwer neue langatmige und erfolgreiche Franchises aufzubauen, besonders für das Kernsegment der Spieler. Was ich bisher sehe, ist diese Generation weit zurück was neue IPs angeht, die es vorher nicht gab und die es in eine neue Generation schaffen werden. Abgesehen von Gears of War findet man hier eigentlich nichts. Gears ist eine Ausnahme, weil es im Kern ein ganz simples Urkonzept des Mediums ist. Gears ist das neue Contra der Generation XBOX. Ein Gears-Sequel ist einfacher zu produzieren, als die anderen großen Namen der aktuellen Generation.
Diese Monsterproduktionen werden so aufwendig und teuer, dass man selbst mit großen IPs erstmal neue Verkaufsrekorde aufstellen muss, um die Kosten wieder rein zu bekommen. GTA4, MGS4 und sicherlich Final Fantasy 13 dürften die Höhepunkte dieser Generation bleiben, was production values angeht. Man muss sich klar sein, dass alle großen Investionen in diese Generationen bereits getätigt worden sind. Von nun an geht es finanziell nur noch nach unten, was neue Produktionen betrifft.
Mittlerweile haben alle Publisher gesehen, was finanziell funktioniert und was nichts. Die Auswertung sehen wir in den letzten Wochen bei Schließungen diverser Studios und unzähliger Projekte auch direkt bei den First Party Entwicklern. Selbst Microsoft und Sony drosseln ihre Spieleentwicklungen, was kein gutes Zeichen sein kann. Anders dagegen Nintendo.
Nintendo dominiert praktisch den Markt wie derzeit kein anderer. Auch wenn man als Core-Gamer das neue Nintendo (verständlicherweise) kritisieren möchte, so hat man hier als einziger den Markt neu erkannt. Sony zeigt, dass keine Marke der Welt möge sie noch so stark sein, vor dem finanziellen Ruin geschützt ist. Nintendo weiß wie es ist, die Dominanz zu verlieren. Sie haben aus ihren Fehlern gelernt, die Mitbewerber noch nicht.
Für die Publusher wie EA könnte es schwieriger nicht sein. Wirtschaftlich sind PS3 und XBOX ein ziemlicher Albtraum. Teure Produktionen mit hohem Risiko. Nintendo’s Plattformen dagegen sind so speziell, dass man gegen die 1st Party Produkte im Markt kaum eine Chance hat. Offensichtlich sollte es auch schwierig sein, für alteingessene Entwickler weg vom zombiemordenen Space Marine hin zum Familienprodukt zu wechseln.
Licht am Horizont
Die aktuelle Situation hat nicht nur Schattenseiten. Download und Independent Games bekommen hier das beste Klima der letzten 20 Jahre geliefert, um erfolgreich zu sein. Für den Endkunden heißt das, mehr Produkte zu einem günstigeren Preis, oft mit mehr Abwechslung als je zuvor. Je mehr Plattformen sich etablieren (iPhone) umso größer wird die Konkurrenz, was wiederum in besseren Produkten resultiert. We hätte sich vor 2 Jahren träumen lassen, dass mal ein 1-Mann-Entwickler-Team sich mit großen Publishern um die Ranglisten streiten kann? Einfach herlich.
Die Industrie wird die aktuelle Lage hoffentlich nutzen, um ihr Geschäfft finanziell zu optimieren. Die Plattformhalter werden hoffentlich lernen, dass es mehr als die 14- bis 24-Jährigen männlichen Spieler als Zielgruppe existieren, dass Gewaltorgien in Super-Mega-Hyper-HD nicht mehr unterhaltsam sind, wenn man dieser Zielgruppe entsprungen ist und dass die Spieler aus den 80ern und 90ern heute auch noch relevant sind, weniger Zeit aber nicht weniger Anspruch haben.
Es existiert keine Krise oder gar Rezession in diesem Markt. Das Medium und der Markt verändern sich und die Teilnehmer müssen lernen sich anzupassen. Bei einigen geht leichter, für andere ist es schwieriger. Für den Endkunden dürfte der aktuelle Wandel jedoch in einem Markt resultieren, der individueller auf seinen Kunden reagiert, als das je zuvor der Fall war.
2 Kommentare
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global $hemingway ?>Großartiger Artikel!Kann ich gar nicht anders sagen…
[…] Chris ist ein dufter Kerl. Aber ich mag es vor allem, wenn es normal aussieht, wie beispielweise hier. Asche auf mein Haupt. Herrjeh, ich bin konservativ. Nichts für […]