Gestaltung und Philosophie für cold-heat.de
Zwei Themen in einem hoffentlich nicht zu ausführlich werdendem EIintrag. Ich habe keine Ahnung wieso gerade heute solch ein Text sein muss, aber irgendwie ist es mir danach, vielleicht auch weil ich in den letzten Tagen wieder zuviel Zeugs online gelesen habe.
Ich habe einen wie ich finde sehr wertvollen Text zum Thema alte und neue Medien geschrieben, der ganz im Blick der aktuellen Debatte steht, in der Zeitungs-Auflagen schwinden, kein Mensch mehr Fernsehen schaut und alle ihre Zukunft im Internet sehen, dabei aber oft ihre eigenen Tugenden vergessen. Wie schon andere Texte zuvor, werde ich den Eintrag erstmal nicht veröffentlichen.
Als ich damals angefangen habe zu „bloggen“, da waren die Themen recht übersichtlich und dieses gesamte Blogging-Dings fühlte sich frisch und unterhaltsam an. Inhaltlich gibt es hier eine ganz einfache Formel: veröffentlicht wird nur, was ich auch in 10, 20 oder 30 Jahren noch lesen kann, ohne mich dafür inhaltlich schämen zu müssen. Persönliches wird hier ganz explizit gefiltert. Ich kenne das Medium gut genug, um zu wissen, was einmal veröffentlicht ist, kann nicht mehr gelöscht werden. Meine Seite ist recht gut bei Google indiziert, es ist leicht für einen Dritten persönliche Daten von mir zu erlangen, wenn ich sie hier veröffentlichen würde. Ich suche mittlerweile beruflich was Neues und dieser letzte Text könnte diesem Prozess eine bittere Note verpassen.
Webdesign ist ein eigentlich ein wenig förderlicher Prozess. Man verbringt soviel Zeit im eigenen Medium, dass man immer wieder die gleichen Spiegelbilder (!) sieht. Da sich jeder Webdesigner nennen darf, gibt es auch Armeen von Gestaltern, die in schöner Regelmäßigkeit, natürlich nur rein zur Inspiration, Webdesign-Gallerien besuchen, bei denen mittlerweile wochenlange Arbeit, auf einem 200×200 Pixel großen Bildchen bewertet wird. 20 Sekunden des Anschauens und Zack wird mit einer Wertung von 5 Sternen, eine Blaupause, von der man sich doch gefälligst inspirieren lassen soll. Wer 10 mal liest, wie ausgelutscht die Arial als Webfont ist, glaubt danach auch dran. Welcher Inhalt der Arial-Text vermittelt, rückt in den Hintergrund. Inhalt ist Gestaltung. Dieser Grundsatz scheint weiter und weiter in Vergessenheit zu geraten.
Es ist schön, wenn Photoshop-Templates, die CSS-Gallerien ernten. Wenn dann der Leser neue Inhalte nur noch im RSS-Reader konsumiert, waren die Stunden in Photoshop leider vergebens. Inhalt wird immer mehr zur Gestaltung, wenn eine einzige Überschrift, den achso wichtigen Mausklick auslösen muss. Löse ich den Klick dann aus, werde ich mit einer Flut aus inhaltlichem Fett begrüßt. Werbebanner, Navigation, Seitenspalten mit dutzenden anderer Links. Was ich eigentlich lesen wollte, spielt sich auf einem Bruchteil des Raumes der Seite ab. Wenn ich Glück habe sind es 30%. Womit hat der Leser eine solche Strafe verdient? Ist das klickbasierte Bezahlmodell der Grund, mehr und mehr Fett um den eigentlich Kern zu platzieren?
Ich möchte jedem der hier eine echte HTML-Seite besucht, nur das geben was er sucht und zwar 100% reiner Inhalt, aufbereitet mit CSS. Keine Spielerein, kein vergoldeter Rahmen. Ich habe das Glück, nicht auf Mausklicks angewiesen zu sein, also nutze ich den Vorteil aus. Ich weiß selbst, dass für mich Werbung oder Brechstangen-Navigation, nicht funktionieren, drum biete ich es hier auch nicht an.
Der Feed hat momentan eine wie ich finde sehr gesunde Leserzahl, wenn man das Alter der Seite und die Inhalte in Betracht zieht. Einzelne Texte, bekommen je nach Thema ihre fast konstanten Klick-Zahlen. Dieser Text dürfte knapp 10% aller Feed-Leser zum Klicken veranlassen und auch nur, wenn ich noch ein Bild oder eine Zwischenüberschrift setze.
Alles funktioniert. Das letzte Redesign war einzig dafür da, mir mehr Freiheiten beim Gestalten der eigentliche Inhalte zu geben. Mehr Platz, mehr Formate, mehr Optionen, mehr Freiheit.
Ich bin mir unsicher woher dieser Fokus auf Minimalismus liegt. Als ich damals mit diesem Computer-Zeugs angefangen habe, konnte nichts bunt, verziert und effektüberladen genug sein. Es hat sicher damit zu tun, dass ich sehr oft mit Menschen zu tun habe, die so denken wie ich damals. Es muss bunt, laut und groß sein, am besten mit ganz viel Schlagschatten und das Logo muss sowieso viel größer werden. coldheat.de ist quasi gestalterische Selbstherapie, auf der Suche nach Patienten mit ähnlichem Leidensweg. Es ist die Suche nach Wertschätzung, die offline schwerer und schwerer zu finden ist. Es ist das Ins-Rechte-Licht-Rücken für Inhalte, ohne abzulenken und ohne zuviel zu offenbaren.
/emomode off
8 Kommentare
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global $hemingway ?>weniger ist mehr
war es schon immer
und wird es immer sein
Warum der Taxidriver als Teaserimage?
Und, nach drie Minuten Nachgedenke: Ich finde, das „100% reiner Inhalt“ nicht „mehr Freiheiten beim Gestalten“ ausschließt. Ich habe in den letzten Tagen die Überzeugung entwickelt, das zukünftige Themes und CMSe genau das können werden. Höchste Lesbarkeit gepaart mit hohem Gestaltungsspielraum.
Die Situation im Film passt perfekt zum Eintrag, er applaudiert aus reiner Resignation um wenig später … ach das ist bekannt. Das Bild spiegelt für mich perfekt den Eintrag wieder. Ein geheuchelter Applaus ist massenkompatibler, als gar keiner.
NgN macht übrigens nen tollen Eindruck bisher, hält hoffentlich ne Weile an 🙂
Ich finde, es ist ein ganz klarer Trend in „Designerkreisen“, wieder Abstand vom überladenen Sinnesspektakel zu nehmen, und zurück zu einer Art remake der Schweizer Schule zu gehen. Schriften werden wieder größer, gloss und runde Ecken dagegen weniger. Ist doch fein!
Weniger ist schließlich in der Tat mehr, klares und offenes Design ist simple und doch einfach.
Außerdem kann es noch keine zwei Tage her sein, dass Zeldman uns die alte Formel „form follows function“ ins Gedächtnist gerufen hat. Und was der sagt ist schließlich Keilschrift auf den Steintafeln des Internets. Naja, meistens. Zumindest in diesem Fall.
Wenn eine Sache immer mehr in den Vordergrund rückt, dann ist es in den Augen des feedleser die copy – wenn die nicht den Haken setzt, kommt in der Leser nie zum Grafikschauspiel (oder strukturisiert in Szene gesetzter Information) auf der eigentliche Website.
Ist die Lucida als Webfont eigentlich auch schon ausgelutscht? 🙂
Christian, wir brauchen Weblogs die so designed sind wie Deines. Sie sind unsere Beispiele, wenn es darum geht anderes vorzuführen als die 796er-Spiegel-Grabplatte.
BTW: ich besuche Dein Blog immer genau dann direkt hier, wenn es inhaltlich etwas gibt, was mich interessiert. Wenn’s ums Design geht, oder um Filme. Ich brauche den RSS-Reader genau dazu um herauszufinden, ob’s interessant ist oder nicht (i.e. WoW etc.). Ist es etwas, dass mich interessiert, würde ich den Text niemals nur im Reader lesen, denn ich weiss ja, wie gut und ansprechend Du die Sachen gestaltest…
Die Welt braucht mehr manuelle Trackbacks:http://anmutunddemut.de/node/6022
Der Eintrag war ein toller Anlass, hier noch etwas besser aufzuräumen. Ende der Woche sollte jeder Leser mal sein Browser-Cache löschen. Paar Kleinigkeiten sind jetzt schon drin, Rest dann im Laufe der Woche.