David Lynch’s Blue Velvet
Nach vielen episch-großen Kinowerken, wird es mal Zeit für etwas im kleineren Rahmen, vielleicht auch mal etwas, was nicht jeder auf Anhieb kennt. Beim Suchen der Leone-DVD aus einem vorherigen Eintrag, fiel Blue Velvet ins Auge. Ewig nicht angeschaut und trotzdem unvergessen, soll der Film jetzt zum Thema werden. Aus der Reihe Filme, die man so schnell nicht vergessen wird:
Dieser Film ist von einem gewissen David Lynch. Jedesmal wenn ich diesen Namen lese oder höre muss ich schmunzeln, aber nicht weil er etwa Komödien-Klassiker verfilmt hat, sondern aufgrund einiger Simpsons-Folgen, die Lynch’s Werke immer perfekt in der Serie verarbeitet haben. Da gibt es diese eine Folge, in der Homer Twin Peaks schaut, und auf der Mattscheibe tanzt grad der Hauptdarsteller mit einem Reh. Ein weiterer Lynch-Gag zeigt Homer fasziniert von einem singenden Eichhörnchen, während im Hintergrund subtil kleine Details die Szenerie unwirklich erscheinen lassen. Mit der gleichen absoluten Ahnungslosigkeit wie Homer Simpsons, wird sicherlich jeder Lynchs Film-Werke beim ersten mal aufnehmen. Willkommen in abgedrehten Welt von David Lynch, in der nichts so ist wie es scheint. It’s a strange world.
Blue Velvet ist mit das Beste1 was Lynch bisher auf die Leinwand gebracht hat. This is some fucked up movie im besten Sinne. Diesen Film zu beschreiben geht über sprachliche Grenzen.
Willkommen in Tumbleton, einem idylischen Städtchen in der amerikanischen Provinz. Der Film beginnt mit einem älteren Herren, der gerade seinen Rasen im Garten wässert. Kurze Zeit später liegt er zuckend am Boden, den Gartenschlaum weiter in der Hand haltend, einem Hund über sich bellend und einem Kleinkind, das sich vom Hintergund her nähert. Dieses Bild setzt den Grundton des Films. Dies ist die abgedrehte Welt von David Lynch, wo nichts so ist wie es scheint.
Der eben gesehene Mann wacht im Krankenhaus auf, sein Sohn besucht ihn und führt somit gleichzeitig den Held des Films ein, Jeffrey Beaumont (Kyle MacLachlan)2. Auf dem Weg vom Krankenhaus, findet Jeffrey ein abgeschnittenes Ohr im Gras liegen und bringt es zur Polizei. Die Neugier lässt ihn nicht los und er versucht durch Kontakt zum Police Detective Williams, mehr Informationen zu seinem ungewöhnlichen Fund zu erhalten. Dabei trifft er auf Sandy, der Tocher des Detectives. Beide versuchen nun auf eigene Faust den Fall des abgeschnittenes Ohres zu klären und treffen dabei auf die Nacht-Club-Sängerin Dorothy Vallens (Isabella Rossellini) – deren typischer Song eben Blue Velvet ist.
Frank is medium height and stocky with a burr hair cut. He is wearing a tight blue t-shirt and an old black sports jacket. He’s got on a pair of blue jeans and boots. He has a raw, mean sexuality – a „bomb about to go off“ – presence.
Dorothy steht irgendwie in Verbindung mit einem gewissen Frank Booth (Dennis Hopper), der vom ersten Augenblick an, nicht der Held des Films zu sein scheint. Der Rest des Films klärt die Beziehungen aller Charaktere zueinander und erklärt letztendlich auch die Herkunft des abgeschnittenen Ohres. Mehr möchte ich zur Handlung auch garnicht schreiben, denn Blue Velvet lebt primär von der Unwissenheit des Zuschauers. Bis zur Hälfte des Films wusste ich beim ersten mal absolut nicht worum es hier überhaupt gehen soll. Zu surreal wirken einzelne Szenen und spätestens die Einführung des Frank-Charakters kippt die komplette Idylle aus ihren Fugen.
Blue Velvet scheint David Lynch’s Version des Film Noir zu sein. Eine im Kern einfache Geschichte, die von ihren teil skurilen Charakteren und Szenen lebt. Der Film ist eigentlich nur eine Bühne für den Frank Booth Charakter, der zweifellos zu den besten Bösewichten der Filmgeschichte gehört. Wenn Jeffrey im Schrank stehend, heimlich und ahnunglos das Spiel zwischen Frank und Valerie beobachtet, dann ist der Zuschauer genauso gelähmt wie die Figur im Film. Diese Szene spielt perfekt mit dem Voyeurismus des Zuschauers. Man bekommt exakt da zu sehen was es braucht, um die Szene funktionieren zu lassen, ohne komplett in die B-Movie-Kategorie zu verfallen. Die komplette Szene lässt alle drei Hauptcharaktere zusammenkommen und versetzt dem Zuschauer dabei einen kräftigen Schlag in die Magengegend. Eine sehr verstörende Szene.
The apartment is very large. All the furniture is over-stuffed. In the room there is a very much over-weight WOMAN dressed in black and a greasy-looking COUPLE. On the couch, a YOUNG WOMAN plays with a large doll.
Der Film beweist auch wunderschön wie kleine Details eine eigentlich eher schnöde Handlung, unvergesslich machen können. Blue Velvet lebt von seinen, im besten Sinne des Wortes, verrückten Charakteren, in deren Zentrum der Dennis Hopper Charakter, die vielleicht beste Show liefert. Hopper war auch in Apocalypse Now in einer anderen Welt, aber wo dort noch Drogen als Intialisator dienten (die Geschichten um diesen Film sind legendär), so schafft er es hier wohl auch ohne Stimulanzien zu beeindrucken.
kleine Makel und was bleibt
Blue Velvet ist nun kein Film der Weltgeschichte schreibt. Die eigentliche Geschichte ist eher dünn und schon dutzendfach erzählt worden. Auch ist der Film so speziell, dass das zweites oder drittes Ansehen schwierig wird, weil dann umso mehr die schwache Story durchkommt. Man wartet immer auf die überraschende Wendung der Handlung. Sie kommt aber nicht. Trotzdem bleibt eine gewisse Logik im Spiel, was man nicht von allen Lynch-Filmen mehr erwarten kann.
Beim ersten Ansehen jedoch tragen die Charaktere den Film auf mächtig breiten Schultern. Sämtliche Charaktere besitzen das gewisse Etwas. Dennis Hopper ist fast schon zu dominant, seine Figur grenzwertig zum Comic. Man wartet fast immer auf die nächste Szene von ihm. Alles dazwischen geht irgendwie unter, weil es nicht so fucked up wie Frank Booth ist. Besonders nach der ersten oben angesprochenen Szene, fällt die Spannung erstmal ab.
„Don’t look at me, Fuck. I shoot when I see the whites of the eyes. You like me?“ Frank
Der Film ist ein typischer Davin Lynch. Er zeigt das Hässliche hinter den Kulissen der achso feinen Idylle. Dominanz scheint eines der vordergründigen Themen zu sein. Die Figur des Frank Booth ist Schalblone für einen eigentlich überzeichneten, aber dennoch faszinierenden Bösewicht. Eine Mischung aus Darth Vader und Henry Fonda’s Frank (sicherlich nicht grundlos mit gleichen Namen) aus Sergio Leone’s Western-Epic. Er braucht nicht viel mehr als eine 5 Minutenszene, um so schnell nicht mehr vergessen zu werden. Wie gut der Film immer noch funktioniert, zeigt auch die sehr hohe Wertung bei Rotten Tomatoes. Insgesamt betrachtet auch heute noch ganz großes Kino.
Das kreative Erbe von Blue Velvet scheint übrigens damals eine TV-Serie Namens Picket Fences 3 angetreten zu haben. Das Konzept war ziemlich nah an Blue Velvet angelehnt. Idylische Vorstadt, skurile Einwohner mit allen möglichen Macken und schließlich pro Folge ein noch absurderer Rechtsstreit, teilweise mit Morden, teilweise einfach nur grundlegend seltsam (u.a. Tiere tragen menschliches Embryo aus).
Blue Velvet ist die Marke Film, die heute eigentlich unmöglich geworden sind. Es ist ein Studio-Film mit Independent-Inhalten, auch deswegen hat der Film an der Kino-Kasse versagt. Wer in einen Film mit solchen Namen geht, erwartet keine grenzwertigen Inhalte. Kritiker lobten den Film durchweg und auch die Preisverleihungen meinten es gut mit Blue Velvet. Die Qualität und Substanz lässt sich auch heute noch auf die Darstellung von Hopper und Rossellini reduzieren. Blue Velvet ist das worauf es ankommt. Filmischer Minimalismus: wenige kleine Drehorte, kleine Handlung, aber riesige Darsteller.
meine Top-3 von David Lynch: Eraserhead, Blue Velvet, The Elephant Man ↩
Kyle MacLachlan war lange Zeit Stammbesetzung bei David Lynch u.a. als Darsteller in Dune und später Twink Peaks. ↩
Picket Fences lief bei uns äußerst erfolgreich im TV. Bis heute gibt es keine Region 2 DVDs und keine Neuauflage im Fernsehen. Die einzig verfügbaren Quellen sind hierzulande im rechtlichen Schatten zu finden. Wo bleiben die DVDs? ↩
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