Wie die Zielgruppe der 80er das heutige weibliche Heldenbild Hollywoods prägt.
Oh sister where art thou?
In Hollywood, though, not all quadrants are created equal. If you, for instance, have a vagina, you’re pretty much out of luck, because women, in studio thinking, are considered a niche audience […] Not to the studios, which have realized that the closer you get to (or the farther you get from) your thirtieth birthday, the more likely you are to develop things like taste and discernment, which render you such an exhausting proposition in terms of selling a movie that, well, you might as well have a vagina. #
Das obere Zitat stammt aus dem schon jetzt legendären Artikel The Day the Movies died und soll mein Aufhänger für folgenden Artikel sein, auch wenn ich mich nur an einem kleinen Winkel des Quellartikels bedienen möchte. In den letzten Jahren ist das Bild der Heldin nicht nur seltener und seltener geworden, es hat sich auch stark verändert. Vorbei sind die Zeiten des bleibenden Eindrucks. Willkommen in der Welt der übersexualisierten Püppchen.
Warum existieren keine halbwegs realistischen weiblichen Helden mehr? Ist es nur der Halbstarken-Faktor, wie im Quellartikel angesprochen? Werden Filmhelden nur noch für betrunkene Jugendliche entwickelt, die von einer heutigen Ellen Ripley eingeschüchtert würden und deshalb lieber mit Bildern von Lolita-Püppchen berieselt werden, geschrieben von Autoren, für die Top Gun wirklich der beste Film aller Zeiten ist?1
Ich hätte nicht vermutet, dass Ellen Ripley wirklich ein Unikat sei, aber ein Blick in diese Liste offenbart die schreckliche Wahrheit, dass abseits dieser Figur, kaum eine Heldin existiert, die allein ein populäres Franchise getragen hat. Die Nachgeburt des Ellen Ripley Faktors ist zweifellos Core Designs Lara Croft, deren Entstehung ein ähnlicher Zufall2 ist. Man wollte sich von der offensichtlichen Inspiration Indiana Jones distanzieren und geboren war Lara Croft. Der Rest ist moderne Mediengeschichte. Weil sowohl Medium als auch Zielgruppe ein anderes waren, ist Lara Croft jene übersexualisierte Karikatur und Schablone geworden. Der Sprung von Tomb Raider zu Sucker Punch ist nur ein kleiner. Da Bilder immer mehr als Wörter sagen ein, schneller Vergleich des fiktionalen weiblichen Held gestern und heute:
Zum Thema gibt’s natürlich auch eine passende Studie. Das Fazit lautet hier, während Ripley die Tür für weibliche Helden dieser Kategorie aufgestoßen haben mag, so gehen die meisten Heldinnen heute nur an der Hand ihrer männlichen Kollegen hindurch. Der Prototyp des weiblichen Helden ist seit den 90ern auf dem Rückzug. Ich bin jedoch nicht der Überzeugung, dass dieser Trend ein Spiegel der modernen Gesellschafft ist. Vielmehr unterstreicht es die Kernaussage des GQ-Artikels3, dass moderne Fiktion fast ausschließlich für ein männliches Publikum unter 25 Jahren gemacht wird. Aber nicht nur die Zielgruppe ist Schuld.
„Get away from her, you bitch!“
In seinen späten Zwanzigern schrieb ein junger James Cameron ein Treatment zu The Terminator. Es ist kein Zufall, dass besonders dieser Autor das Bild populärer Heldinnen prägen sollte. Cameron’s wichtigste Filme bauen alle auf einen ähnlichen Prototypen und spiegeln irgendwie den Hintergrund des Autors selbst wieder. Sie behaupten sich in einer typischen Männerdomäne und sind selten nur Anhängsel des eigentlichen Protagonisten. Cameron hat es auch immer geschafft, seine Heldinnen perfekt zu besetzen. Nie war die Oberfläche der einzige Faktor. Das Ergebnis? Während heutige Gesichter völlig austauschbar sind, sind Camerons Darstellerinnen fest mit jenen Rollen verbunden. Übrig bleiben drei Filme, dessen Heldinnen mehr Substanz aufweisen, als komplette Lebenswerke heutiger Mode-Autoren: Lt. Ellen Ripley in Aliens, Lindsey Brigman in The Abyss, Sarah Connor in beiden Terminator Filmen.4
Clarice Starling
Erwähnung finden sollte hier auch Clarice Starling. Sicherlich nur einer von vielen Bausteinen des Films, hat diese Darstellung zweifellos einen bleibenden Eindruck hinterlassen und geht nicht im Sog des Anti-Helden unter. Auch Das Schweigen der Lämmer ist zwanzig Jahre später ein Meilenstein des Mediums Films und die Rolle der Clarice ist zur Schablone für weiblichen Helden geworden, deren Zeit aber vergangen zu sein scheint. Im Gegensatz zu Cameron’s Heldinnen, hat Clarice Starling eher den klassischen Entwicklungsbogen vor sich. Trotzdem lebt der Film und die Rolle ohne die typischen Bilder. In diese Falle ist man nur mit dem Sequel gelaufen.
bitter-süße Ironie
„…ich hatte seit Ewigkeiten ein Bild im Kopf, das Bild einer Frau mit feuerroten Haaren, die verzweifelt und entschlossen rennt und rennt und rennt.“ Tom Tykwer zur Entstehung von „Lola rennt“
Es ist fast schon zu komisch, aber es ist ausgerechnet ein deutscher Film, der eine der unterhaltsamsten und einzigartigsten Heldinnen aller Zeiten auf die (internationale) Leinwand bringt. Man mag vom Regisseur und Autor halten was man mag, aber Lola ist ein kleiner Geniestreich. Tykwer hat es geschafft, seine Lola in keine typische Schublade zu stecken. Auch wenn das Motiv sehr klassisch sein mag, so bleibt die Heldin einer der besten und realistischsten weiblichen Protagonisten aller Zeiten. Auch deswegen ist der Film trotz seines so durch und durch deutschen Oberfläche, international erfolgreich. Alles hängt an dieser rothaarigen Läuferin.5
Daneben ist das aktuelle Frauenbild in Mainstream Fiktion eigentlich keines mehr. Vielmehr rennt auch das Heldenbild dem Jugendwahn hinterher und nähert sich mit schnellen Schritten dem Windelalter. Die jetzige Schablone hat ihre Wurzeln sicherlich in den 90ern, dem aufkommenden Exzess und dem Aufbrechen von Nischen(-medien). Ein endloser Fundus an Comicvorlagen und moderne Tricktechnik lässt Ikonen erschaffen, die wie im Beispiel von Sucker Punch ihre Aufgabe erfüllen: rein ins Kino, raus gehen und vergessen, damit man ja empfänglich für den nächsten Schuss bleibt.
Auch hier werden sich die Trends hoffentlich relativieren. Die heutige Zielgruppe ist in zehn Jahren auch raus aus dem Blickpunkt von Marketing, Autoren und Produzenten. Ich möchte noch nicht beurteilen, welchen Typ Heldin heutige 10-Jährige in ein paar Jahren serviert bekommen, ob es mehr Ellen Ripley oder mehr Baby Doll ist. Die vergangenen Jahre aber, gehen nicht mal als verwischte Fußnote in die Geschichte des Mediums ein, wenn es um fortschrittliche, weibliche Heldenbilder geht. Am Ende verdient jede Generation auch ihre eigenen Helden und ein Ende der puren Oberfläche scheint noch lange nicht absehbar. Wer weiß. Irgendeiner der hippen Fünfundzwanzigjährigen, das Kino verlassenden, von Sucker Punch enttäuschten Zuschauer, setzt sich vielleicht mit der Frage nach mehr Substanz an die Tastatur und schreibt eine würdige Lt. Ellen Ripley Erbin. Nötig wäre es.
That generation of 16-to-24-year-olds—the guys who felt the rush of Top Gun because it was custom-built to excite them—is now in its forties, exactly the age of many mid- and upper-midrange studio executives. And increasingly, it is their taste, their appetite, and the aesthetic of their late-’80s postadolescence that is shaping moviemaking. # ↩
Tom Tykwer: Lola rennt – rororo-Verlag ↩
1 Kommentar
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global $hemingway ?>Also als erstes Mal: Wie gut, dass du wieder schreibst. Man merkt immer erst, was gefehlt hat, wenn es wieder da ist.
Dann: Signed! Wie gerne würde ich mal wieder eine richtige Heldin sehen!
Und dann: Kann es sein, dass dieser Artikel (und sei es nur unbewußt) mit dem vorherigen Titel zusammenhängt? Püppchen geben halt die besseren Häppchen ab. Da gibt es eine klangliche Verwandtschaft, hehe.