Sergio Leone’s »Spiel mir das Lied vom Tod«
Nach 2001 ein weiterer Meilenstein des Kinos. Ich muss mich erstmal für den Titel entschuldigen. Die Verdeutschung dieses Films ist eines der ganz großen filmischen Verbrechen, aber ich muss nun mal mit dem arbeiten, was die deutsche Synchro so verbrochen hat. Dieser Film ist ähnlich wie 2001 ein Beispiel dafür, dass auch Genre-Kino Kunst sein kann.
Der englische Titel lautet Once upon a time in the West und ist einer von drei Filmen, in denen sich ein später Sergio Leone voll dem Thema Amerika widmet. Der Film beschreibt für mich das würdige Ende der Western-Era. Leone nimmt hier ein geschundenes Genre (Italo- oder auch Spaghetti-Western)1, perfektioniert es und erschafft damit den wohl amerikanischsten Western überhaupt.
die Handlung
„There were three men in her life. One to take her… one to love her… and one to kill her.“
Amerika ist im Aufbruch. Die Zeit der vagabundierenden Revolverhelden neigt sich dem Ende. Flagstone ein kleines aufblühendes Städtchen wird zum Ort der Handlung. Die Industrialisierung nimmt ihren Lauf und zwar in Form der Eisenbahn, die sich nun ihren Weg durch das Land bahnt. Alte Anwesen müssen den Schienen der Bahn weichen, ehemals wertlose Grundstücke, werden zu Goldgruben.
Eine Eisenbahn ist es auch, die Harmonica (Charles Bronson in seiner wohl besten Rolle) absetzt. Er sucht einen gewissen Frank (Henry Fonda), dieser jedoch hat drei seiner Männer geschickt um Harmonica gebührend zu empfangen. Harmonica streckt alle drei nieder und begibt sich auf die Suche nach Frank. In der nächsten Szene ist es genau jener Frank, der im Auftrag von Morton handelt und den Besitzer einer Farm einschüchtern soll. Bei der einfachen Einschüchterung bleibt es nicht. McBain, Inhaber der Farm wird samt seinen Kindern getötet.
„You don’t understand, Jill. People like that have something inside… something to do with death.“
Jill (Claudia Cardinale) die Ehefrau des gerade zuvor getöteten Farm-Besitzers, erscheint ebenfalls mit dem Zug in Flagstone. Ihre Intro-Szene schreibt Filmgeschichte. Auf dem Weg zu ihrem nun leeren Haus, macht sie Halt in einer üblen Absteige und bekommt am Rande eine Schiesserei mit, bei der Cheyenne (Jason Robards) beteiligt ist, ein bärtiger, schmieriger Halunke aus dem Bilderbuch. Cheyenne ist es auch der Jill zu ihrer Farm folgt, ein Ort den später auch Harmonica aufsucht.
An diesem Punkt besitzt der Film alle Zutaten der Handlung. Die McBain Farm hat wieder eine Besitzerin und Frank wieder einen Job zu erledigen. Nun jedoch erwarten ihn zusätzlich ein Harmonica dessen Motiv noch unbekannt, sowie ein Cheyenne, welcher Jill nicht abgeneigt ist. Im Laufe des Films stellt sich heraus, dass Frank die Drecksarbeit für Morton erledigt, einem von Krankheit gezeichneten Industriellen, dessen Motiv es ist, die McBain Farm zu erwerben, das ein dortiger Brunnen und die näher rückende Eisenbahn, aus dem einst öden Brachland, eine finanzielle Oase machen wird.
Im Verlaufe des Films wird Frank vom Jäger selbst zum Gejagten. Harmonica und Cheyenne sichern Jill den Besitz ihrer Farm, Morton findet seine gerechte Strafe und im finalen Akt, klärt sich auch das Motiv Harmonica’s und zeigt uns eine der besten Duell-Szenen der Filmgeschichte.
Stilgenuß für Augen und Ohren
Für mich steht der Film für ganz wenige perfekte Zutaten: langsames Tempo, endlos viele Nahaufnahmen, wunderschöne Landschaften, Morricone’s Musik sowie klassische One-Liner. Alle Figuren sind schon fast Karrikaturen der gesamten Western-Era. Wir haben die Marionette, die später ihren Meister ausspielt. Den von Rache getriebenen Einzelgänger, den unterhaltsamen Wise-Guy, sowie die schöne Fremde.
„How can you trust a man who wears both a belt and suspenders? The man can’t even trust his own pants.“ Frank
Visuell ist dieser Film einzigartig. Unglaubliche Nahaufnahmen, wechseln sich mit endlos weiten Totalen ab und alles in einem Tempo, dass die MTV-Generation zu Tode langweilen dürfte. Wenn es heute angesagt ist, mit verwackelter Kamera zu filmen und in einem Tempo zu schneiden, dass ich Kopfschmerzen bekomme, dann ist dieser Film wie 2001 die beste Medizin gegen den Trend der aktuellen Kino-Optik. Dieser Western ist genauso dreckig wie poliert. Einige Bilder haben schier endlos viele Texturen. Jedes Bild strahlt eine Hitze aus, die selbst ILMs-CGI-Bilder niemals gerendert bekämen. Es ist klassische, zeitlose, perfekte Optik, die immer besser altert. Die Anfangszene und besonders die langen Mäntel von Frank’s Söldnern sehen zehn mal cooler aus, als jede Matrixsche-Bullet-Time. Das ist Stil.
„You know, Jill, you remind me of my mother. She was the biggest whore in Alameda and the finest woman that ever lived. Whoever my father was, for an hour or for a month – he must have been a happy man.“ Cheyenne
Nicht immer schaue ich mir einen Film kurz vorm Schreiben eines solchen Eintrags noch einmal an. Hier allerdings musste es sein. Es ist immer noch beeindruckend wie bildgewaltig dieser Film ist. Jede Sekunde im Film ist so präzise gezeichnet, dass man nur staunen kann. Leone hat hier eine wirklich eigenständige Bildsprache gefunden. Jedes Frame trumpft mit einer gewaltigen Tiefe auf. Die Details und Texturen in den Szenen sind zeitlos perfekt. Es ist halt doch was anderes, ob man reale Umgebungen filmt, oder den Rechner Bilder erschaffen lässt. Auch die Landschaften wirken wie gemalt. Es ist schwierig die Bildsprache in einem Standbild zu zeigen, man muss das Bewegtbild sehen. Hier haben wir auch ein Muster-Beispiel, für Material, was wirklich vom hochauflösenden Bildern profitiert, denn kaum ein Film besitzt so viele kleine Details wie dieser hier.
Morricone’s sicherlich beste Kompositionen
Es gibt ein paar wenige deutsche Bezeichnungen, die so treffend sind, dass sie auch im Englischen existieren. Eines davon ist das englische Wort leitmotif an Anhlehnung an unser Wort Leitmotiv. Jeder Charakter im Film, hat seine eigene perfekt passende Melodie. Minuten bevor wir überhaupt den jeweiligen Charakter der Szene sehen, ist er dank Morricone’s Score schon eindeutig zu identifizieren.
„My weapons might look simple to you, Mr. Morton, but they can still shoot holes big enough for our little problems.“ Frank
Die jeweiligen themes 2 sind das Beste was Morricone bisher komponiert hat, finde ich. Besonders Jill’s und Cheyenne’s Melodien sind makellos den jeweiligen Charakteren angepasst und sorgen dafür, dass der Film nicht zu tief ins Dramatische absackt, sondern dabei immer primär nur unterhalten möchte. Wir haben hier auch ein Muster-Beispiel dafür, wie wichtig Musik im Film ist. Ohne Morricone wäre dieser Western nicht der Meilenstein, der er ist.
Neben der Musik spielen auch die Soundeffekte eine wichtige Rolle, besonders in Szenen, wo praktisch kaum Handlung stattfindet, tragen Sound und Optik den Film. Perfekt umgesetzt in der Introsequenz, die praktisch klanglich, reduziert nur mit einem drehenden und krächzenden Windrad funktioniert.
Pacing
Der Film schafft es langsam, ohne dabei langweilig zu sein. Die Intro-Szene beschreibt sehr gut, worauf man sich einlässt. Bis das erste Wort fällt, vergehen mehr als 10 Minuten, voller Bilder und Klangeffekte. Wir sehen eine minutenlange Nahaufnahme einer Fliege auf einem Gesicht des Darstellers. Filmischer Minimalismus. Die Wucht der Bilder ist es, die das langsame Tempo funktionieren lässt. Die ersten 20 Minuten des Films sind nur 2 Szenen mit wenigen Sätzen Dialog und keine Sekunde davon ist langweilig.
„People scare easier when they`re dying.“ Frank
Wie 2001 auch, sind die Zutaten dieses Films für sich so erstklassig, dass es ganz wenige davon braucht. Wo heute Hyper-X-12.4 Sourrround-Sound, bald 3D-Optik mit 12.800 Bildzeilen, CGI-Optik, Avid-Farts3, Split-Screen-Darstellung dominieren, um Schwächen im Skript zu vertuschen, so ist Leone’s Werk hier die reine Essenz der Filmkunst.
Kurze Anekdote dazu. Ein Ausflug in die ZDF-Mediathek führte zum Klick auf eine aktuelle Folge von „Ein Fall für Zwei“. Ein Krimi-Urgestein des ZDF. Als plötzlich selbst dort Split-Screen, Filter und Flashbacks eingesetzt wurden, wurde mein Weltbild vom guten alten ZDF-Krimi völlig zerstört. Effekthascherei und moderne (grottige) Bildsprache, erreichen nun auch die Grundfeiler der deutschen TV-Unterhaltung.
das Ende einer Ära
Für mich ist dieser Film Leones letztes großes Danke an ein schon an ein Genre, dessen große Tage vorbei waren. Es ist der Western aller Western mit unzähligen filmischen Zitaten an andere Klassiker des Genres. Alles an diesem Film ist handwerkliche Meisterleistung. Alle Zutaten sind perfekt und fügen sich auch harmonisch zusammen. Wer sich nur einen Western ansehen möchte, weil er meint das Genre sei ausgelutsch, dem sei dieser Film empfohlen. Es ist der Western aller Western, ein Charakter-Film, mit toller Optik und zeitlosem Klang.
Wie auch bei Kubrick, fragt man sich bei Sergio Leone, was diese Meister ihrer Kunst mit heutigen Werkzeugen kreieren könnten, wenn sie mit damaligen Mitteln solche Klassiker schaffen konnten. Once upon a time in the West ist eine Hymne auf ein Genre, dass aus der Mode gekommen ist, oder das deutsche Produktionen auf das eigene Niveau herunter reißen. Dieser Film wird auch in 30 Jahren noch ordentlich Eindruck hinterlassen.
Spaghetti-Western sind Filme etlicher italienischer Filmemacher (primär Produzenten), die Mitte der 60er bis Ende der 70er das Genre dominierten und dabei völlig eigene Regeln einführten. Kleine Budgets, realistischere Gewalt, mehr Wert auf Charakteren. ↩
Musikalisches Thema eines einzelnen Charakters. ↩
„Avid Fart“ ist ein Begriff, der von einem AICN-Autor erfunden wurde. Der Begriff beschreibt das Überfrachten von Filmmaterial am AVID-Rechner mit überflüssigen Filtern, Effekten und Schnitten. Ein Musterbeispiel für Avid-Farts ist der Film Domino. ↩
7 Kommentare
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global $hemingway ?>Sehr schöner Text, voll meine Meinung!
Knapp gefolgt von der Dollar-Trilogie, absolut.
Vor allem nimmt das Windrad Harmonicas Harmonika-Thema vorweg! Kommt man auch nicht sofort drauf…
Mir gefällt generell das „Gewollte“ der Soundkulisse des Films. Die Erkenntnis, dass der Film über weite Strecken nachvertont ist, drängt sich beim Sehen nicht unbedingt auf, aber trotzdem ist der Ton hörbar nichts, was in „Spiel mir das Lied vom Tod“ einfach irgendwie „passiert“, wie in so vielen anderen Filmen. Bilder und Musik ist auch der Sound komponiert.
Das macht beim Titel ja nicht halt. Es gibt so einige Dialoge im Film, die nur mit Augenzudrücken noch irgendwas mit den Originaltexten zu tun haben.
DER Western!DIE Filmmusik!DIE Schönheit!
Ich liebe diesen Film… der muss doch noch… irgendwo… hier… auf der Festplatte… wühl
Suchen ist ein tolles Stichwort, das Suchen einer anderen DVD in der Sammlung, hat mich erst überhaupt zu diesem Leone-Schinken geführt.
Die ursprünglich gesuchte DVD hat sich dann auch noch angefunden und kommt dann nächste Woche als Eintrag. Thematisch was komplett anderes, teilen sich beide Filme nur den Namen des Bösewichtes.
[…] gestern gab es bei cold-heat.de diesen phantastischen Beitrag über Sergio Leones “Spiel mir das Lied vom Tod” und nach diesem Sog (a.k.a. völliges […]
Man, langsam bin ich echt begeistert von Google, Man findet doch die Informationen die man sucht, die diesem Fall auf dieser Seite! Grueße
Ja, diese neumodische Google-Dings ist schon eine verblüffende Erfindung.
Guter informativer Text zum besten Western aller Zeiten!