if you are old, they listen
Während der Jugendwahn um sich greift, scheint momentan bestätigt, dass es eine kleine Nische gibt, bei der die Jugend zum Makel wird. Wer einmal bei Google nach Blogposts sucht, die dem deutschen TV mangelnde Qualität unterstellen, wird geschätzte 4.957.585 Texte finden. Die meisten davon, dürften von Zuschauern verfasst worden sein, die jünger als 88 Jahre alt sind.
Nun ist seit dem Wochenende bekannt, dass diese 4.957.585 nicht allein sind. Jemand gesellt sich öffentlich zu ihnen und erhebt seine Stimme. Der Name dieses Helden: Marcel Reich Ranicki. Sein Alter und sein Lebenswerk rechtfertigen plötzlich eine Meinung und verschaffen einer sonst völlig heruntergespielten Aussage Respekt.
Wenn ein Oliver „medienfremde Menschen vorführen ist lustig“ Pocher zu seinen Kritikern Stellung nehmen soll, dann werden die imaginären Scheuklappen aufgesetzt getreu dem Motto: „Ich verdiene mit dem Scheiß soviel Kohle, das muss also Qualität haben.“
Der gestrige „Skandal“ – soweit sind wir dann schon, wenn jemand in Deutschland eine eigene Meinung hat, wird es zum Skandal – hat nun eine Sendung zur Folge, die am Freitag Abend die Qualität des deutschen TVs offiziell zur Position stellt. Eingeladen werden vermutlich nicht die wahren Macher, sondern Schießbudenfiguren und Marktschreier. Denn wenn man eine Lehre aus der Selbstbeweihräucherung namens Fernsehpreis ziehen kann, dann dass kaum mehr echte Macher gibt. Ranicki ist als Literatur-Kritiker in erster Linie Bewerter vom Werk eines Autors. Wie ich allerdings schon oft hier geschrieben habe, ist das Kernproblem des deutschen Fernsehens das Autorenfernsehen, denn es existiert schlicht nicht mehr.
Am 3. Oktober lief wie jedes Jahr die Ekel-Alfred-Folge Besuch aus der Ostzone. Zu Heiligabend darf man auch wieder die typischen Loriot-Folgen erwarten. Das ist Autorenfernsehen. Das ist deutsch, das ist zeitlos gut, das ist Qualität, die heute nicht mehr existiert. Noch lustiger ist das heutige Medien-Echo, bei dem man die Meinung von völlig belanglosen Fernsehfiguren, der von Ranicki gegenüberstellt. „Hey ich bin Panel-Show-Moderator und fand das nicht gut was der alte Mann dort gemacht hat!“ STFU
6 Kommentare
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global $hemingway ?>Marcel Reich Ranicki ist schlichtweg brilliant (<3 Literarisches Quartett seit der Rezension von ‚Gefährliche Geliebte‘).
Ich habe den Eklat bei der Preisverleihung nur beiläufig beim Zeitungslesen mitbekommen, aber für diese Entmaskierung der Showwelt wird er von mir ein zweites Mal in den Olymp gehoben 🙂
Bravo Christian. Genau das habe ich auch gedacht.. gut, dass endlich mal jemand ernst genommen wird, aber warum muss es erst ein Ranicki sein, bis Kritik zumindest als solche akzeptiert und nicht mit einem müden Lächeln abgewunken wird?
Bis auf weiteres bleibt meine Wohnung trotzdem fernseherlos.. zum Entsetzen des GEZ-Mannes natürlich! 😉
Meine Rede! Diesen Preis abzulehnen war wunderbar!
Zum Thema Autoren beim Fernsehen gibt es bei der FAZ einen wirklich lesenswerten Artikel, der meine Aussage hier doppelt und dreifach unterstreicht. Da rennt das deutsche Fernsehen wie so oft dem amerikanischen Vorbild hinterher. Produzenten im deutschen Fernsehen sind zum großen Teil Erbenszähler ohne kreativen Hintergrund. Wenn man Glück hat, ist mal jemand mit einem technischen Hintergrund dabei, aber Kreative? Fehlanzeige. Beim deutschen Fernsehen malen die Blinden wirklich die Kunstwerke.
Wunderbar fand ich auch gerade bei Kerner den guten Markus »früher RTL, jetzt ZDF« Lanz. Der unterstellte dem guten Marcel R. das er doch wahrscheinlich innerhalb des letzten Jahrzehnts überhaupt kein TV geschaut hätte, weil er ansonsten wohl nicht so hart ins Gericht gegangen sei.
Lieber Herr Lanz, der Zuschauer kann zwar mit der Fernbedienung tagtäglich bestimmen, was läuft und was nicht, aber er ist immer noch darauf angewiesen, dass es auch Sender gibt, die etwas nach seinem Geschmack senden. Das es hie und da gewisse Ausnahmen gibt ist wohl kaum zu bestreiten, aber wer den Großteil als Schund bezeichnet liegt nicht ganz falsch.
Roger Willemsen hat ganz recht, wenn er davon redet, dass nicht der Kritiker überheblich ist, sondern die Fernsehmacher, die sich hinter ihr Programm stellen und behaupten, dass sie anspruchsvolleres ihrem Publikum wohl nicht zumuten können.
Für mehr Anspruch in der deutschen Fernsehlandschaft!
Es war ja irgendwie zu erwarten. Wie sagen die coolen Kids von heute? Jetzt ist das ZDF offiziell nicht mehr so cool.
Es ist ein Grundfehler der momentan durchweg alle Medien wie ein Turmor durchwächst und an Masse gewinnt. Inhalte driften völlig vom wirtschaftlichen Aspekt ab, auch bei den Öffentlich-Rechtlichen, deren Budget ja fast endlos groß erscheint. Medienmacher – und damit meine ich nun wirklich alle Formate und alle Medien – müssen wieder anfangen Inhalte zu produzieren, die sie selbst gern konsumieren. Kann sich irgendjemand vorstellen, dass der durchschnittliche deutsche Zeitungsredakteur gern seinen Artikel online liest, dass Fernsehmacher sich ihr Werk auch abseits der Quotenzahlen ansehen, das Radiofritzen noch über ihre eigene „Comedy“ lachen?
Ich hoffe sehr, dass wir im Zuge der wirtschaftlich Situation derzeit, einen Reinigung bei Medienangeboten sehen werden und die Anzeichen dafür existieren ja schon.