deutsche TV-Landschaft 2006
Noch nie war das deutsche Fernsehen auf einem so schlechten Niveau wie aktuell. Zugegeben ich bin seit langer Zeit nicht mehr der deutsche Musterzuschauer. Mein TV-Konsum ordnet sich zeitlich sicher unter dem deutschen Durchschnitt ein und mein TV-Horizont reicht auch über den deutschprachigen Raum hinaus. Dennoch reicht ein kurzer Blick um die heute Qualität der Fernseh-Inhalte als wahrlich unterirdisch betiteln zu können. Wie heißt es immer so schön: Fernsehen macht dumm und noch nie war das Fernsehen darin so effektiv wie heute.
Ich bin mit dem Fernsehen aufgewachsen. Ein nicht zu verachtender Teil meiner kindlichen Jugend, gehörte der Mattscheibe. Dies war vielleicht die Blütezeit des deutschen Fernsehens, als die Lizensierung amerikanischer Inhalte, den Großteil des deutschen Angebots ausmachte. Hinzu kam, dass in den 90ern die vielleicht besten TV-Konzepte sowohl lokal als auch jenseits des großen Teichs, das Licht der Welt erblickten.
Damals bestand die Mentalität der TV-Macher noch nicht aus Kopieren und Melken bis die Kuh tot umfällt. Die Mehrheit der Inhalte ließ zumindestens einen Funken Ambition erahnen. Das deutsche Privatfernsehen lag noch in den Windeln und suchte seine Identität. Ergebnis dessen waren obskure Experimente, die mehr Gesichter verschliessen als aktuelle Casting-Shows.
Klamauk-Sendungen mit blanken Nippeln und fliegenden Sahnetorten brachten mehr Niveau ins deutsche Wohnzimmer, als Doku-Soaps, die das Elend des Landes als sanfte 30 Minuten-Unterhaltung verkaufen wollen und dabei offensichtlich kommerziell erfolgreich sind. Das deutsche Fernsehen ist seinen Kinderschuhen entwachsen und sucht nun nach einem neuen paar Schuhe. Ob es die edlen Wildlederschuhe, Sneaker oder gar Öko-Schlappen sein sollen, weiß es dabei selbst noch nicht.
Das Musik-Fernsehen, auch eine Erfindung meiner fernsehzeitlichen Blütezeit, versucht heute täglich seinen Titel zu rechtfertigen und beantragt zu Recht sich den neuen Titel Klingel-Ton-Fernsehen auf die Mütze schreiben zu dürfen. Die damaligen Pioniere der deutschen Musik-TV-Landschaft, sind heute engagierte Laiendarsteller oder die Clowns der heutigen Zeit. Die Entwicklung einer Person im TV zu verfolgen war erst Domäne amerikanischer TV-Serien, die uns Bud und Kelly Bundy aufwachsen sehen lassen haben. Die Bud Bundies des frühren Viva TVs ergießen sich heute quer über den Schirm und lassen dabei kein Genre aus. Erfolg sieht offenbar nicht anders aus.
Gesellschaftsspiegel
Normalerweise bin ich recht flexibel was TV-Inhalte angeht. Auch dem größten Dreck kann ich noch irgendwas abgewinnen. Grenzen tun sich dann auf, wenn die Vorführung geistiger Schwäche als Inhalt von breit produzierter Sendungen täglich den TV-Schirm penetriert.
Da werden mittlerweile Casting-Shows mit Tieren veranstaltet, einsame Rentner als menschliches Gut verscherbelt, immer noch Opfer gefunden, die sich Monate als visuelle Waare verkaufen lassen, Mädchenträume glorifiziert und als optische Dutzendwaare propagiert. Wir sehen das Ergebnis deutscher Erziehung und wie die nette Tante von nebenan unsere selbstverschuldeten missratenen Menschenversuche vor dem Untergang rettet, zeitlich perfekt unterbrochen von Bier- und Chipswerbung. Wenn im Spätprogramm der Bikini am Leib der Bilderrätsel-Moderatorin zu platzen droht, dann scheint der Boden des Loches erreicht worden zu sein.
Das Phänomen der Talkshows driftet eine Fernsehgeneration später in die scripted reality ab. Ein kreatives Ergebnis aus drittklassigen Autoren, kleinen Produktionsbudgets und miesen Laiendarstellern, die effektiv die Quote halten.
Auch ein Highlight sind die Versuche den deutschen Humor wieder zu entdecken. Das Maximum der Austauschbarkeit und der Beliebigkeit deutscher TV-Inhalte, finden wir in den neudeutsch-betiltelten Comedy-Sendungen. Dies sind proffesionell-aufgemachte Baumarkteröffnungen samt Auftritt eines C-Prominenten, nur eben ohne Baumarkeröffnung und mit einem B-Promi. Im Rausch des Lachens verliert jeder einzelner Versuch witzig und unterhaltsam zu sein, seine Identität. Die sprachlichen Erben Loriot’s vergessen im hektischen TV-Alltag, zwischen der Promotion für DVDs, CDs und Touren, den Witz in ihre sprachlichen Werke zu bringen und treffen so den Humor von Millionen geistiger Mitläufer, die das Lachen noch vom Tonband gewohnt sein sollten.
Promotion ist heute sowieso die Kohle, die eine Masse deutscher TV-Inhalte brennen lässt. Jeder noch so miese TV- oder Kinofilm, jedes noch so schlechte Album oder Buch findet seinen Werbeplatz in deutschen TV-Sendungen, meist getarnt als Talk-Show Besuch eines namenlosen Ja-Sagers, der vertraglich festgelegte Alibi-Fragen, seines zu bewerbenden Produktes abnickt.
Deutschland besteht nun auch wieder aus Millionen von Profi-Köchen, die Mehrheit davon mit trendigen Frisuren und abstrakten Bartgebilden, die dem ehemals angestaubtem Handwerk, plötzlich wieder die Coolness zurück geben und so Kochen wieder zu einer Marke wird, die es gilt am TV-Schirm zu verkaufen. Kein Mensch kann das was da momentan auf der Mattscheibe gekocht, gebraten und gebacken wird aufessen, ohne das der Magen rebelliert.
Wem die Bauchschmerzen plagen, der findet Balsam in Form von Telenovelas, eine Art Seifenoper auf Drogen, inklusive trendiger Weichzeichneroptik. Dies ist die Weiterentwicklung des klassichen Soap-Formats. Ein klar festgelegter Zeitrahmen, lässt mehr Spielraum für die Autoren, um noch mehr überflüssigen Balast (Anspruch) aus den Skripts zu schreiben.
öffentlich rechtlicher Schrott
Nicht nur die Privatsender erlauben sich Tiefschläge. Die teuerste Investition in deutschen Fernsehhumor rennt seit Jahren seiner Schmidteinander-Form hinterher und fristet in der ARD ein sichtlich formloses Dasein.
Fernsehfilme der ARD und ZDF sind in ihrer Form perfektioniert: ein absolut berechenbares 3-Akt-Spiel mit den immer gleichen Zutaten. Man nehme ein weit von der Unterschicht entfernt angesiedeltes Milieu – meist in Form einer Anwaltskanzlei oder Werbeagentur -, ein tragisches Element (Scheidung, uneheliches Kind, Tod) und einen aufmunternden Ruhepol, meistens lustig oder niedlich: Oma, niedliches bebrilltes Kleinkind oder süßes Tier. Wer nun munter alle Zutaten mischt bekommt einen aktuellen Fernsehfilm der öffentlich rechtlichen Sendeanstalten zusammen. Wer einen Zwei-Teiler möchte, mischt die Zutaten zwischen den Akten nochmals, also zum Beispiel lässt das Ruhepol-Element im dritten Akt des ersten Teils sterben und fügt zwei oder drei Hauptcharaktere hinzu.
Was bleibt dann programmtechnisch bei den nicht privaten Sendern noch? Dutzende Polit-Magazine, die ihre Gäste zirkulieren lassen, Journalismus-Sendungen die sich in ihren Aufmachern abwechseln und Schlager-Sendungen, die das Kokain der Gäste, aus der GEZ-Kaffeekasse zahlen.
C-Promi Verkauf und Casting-Terror
Ganz angesagt scheinen Sportsendungen mit Prominenten zu sein. Der Voyeur-Faktor schnellt nach oben, wenn das deutsche Auge ehemalige bekannte Gesichter sieht, die sich vor einem Millionenpublikum die Klinke der Lächerlichkeit in die Hand geben. Ein Format, das wie sollte es anders sein, auch mal wieder jenseits des großen Teichs erfunden wurde. Seitdem tanzt und turnt sich die Prominenten-Rente Deutschlands über die Mattscheibe und der Zuschauer darf von einer Sportart in die nächste zappen. Der Unterhaltungswert ist bei allen unterirdisch.
Dass Deutschland immer noch seine Semi-Stars sucht, ist schon verwunderlich. Noch immer finden sich hundertausende junger Träumer ein, um sich wiederum von C-Prominenten erniedrigen lassen zu müssen. Junge Menschen werden spätestens nach ein paar Shows als Waare deklariert, Waare die 12 Monate später vom neuen Casting-Format abgelöst wird. Dass mit der reinen Vorführung der hoffentlich attraktiven jungen Körper mittlerweile mehr Geld verdient wird, als mit dem Plattenverkauf des eigentlichen Endproduktes, darüber sagt man den Teilnehmern offensichtlich kaum etwas. Logisch eigentlich dann nur die Optik zu verkaufen und dies unter dem Titel Supermodel ins Fernsehen zu bringen. Die Prioritäten neu verteilen und das Maß an menschlicher Vorführung noch höher schrauben. Das ist ungefähr so, als ob Stefan Raab Rentner in der Fußgängerzone durch schlecht verständliche Fragen vorführt. Wann kommt endlich der Hindernislauf für blinde Menschen, über mit Krokodilen besetze Gruben?
Lichtblicke
Es gibt definitiv auch Höhepunkte deutscher TV-Inhalte. Stromberg zum Beispiel ist eine qualitativ wirklich sehr saubere Kopie der englischen Vorlagen (The Office), dramaturgisch zwar dreist abgeschrieben, aber emotional fein eingedeutscht und sehr gut besetzt.
Pastewka läuft in eine ähnliche Richtung und ist lustig, weil es sich über das Fernsehen selbst lustig macht. Auch hier hat man Autoren gefunden, die diesen Blogeintrag sicherlich sofort mit Brief und Siegel begläubigen würden.
Ein echtes Urgestein solider deutscher TV-Kultur finden wir immer noch mit Domian. Ein simples Rundfunk-Konzept, das wunderbar im Fernsehen funktioniert und dem Zuschauer die wirkliche Realität aufzeigt, ungeschönt und aus keiner Autorenfeder. Ein Fundus an Ideen für jeden Schreiberling.
Das Fernsehen war noch nie so seelenlos wie heute. Die Kombination aus fehlender Identität, verschärfter Finanzen und einer Ahnungslosigkeit, was die Zukunft betrifft, lässt wenig Raum für Verbesserungen und Hoffnung. Die Fernseh-Highlight`s meiner Kindheit liegen lange auf dem deutschen TV-Friedhof und fragen sich, wie das Ergebnis ihrer Nachfolger wohl in ein paar Jahrzenten aussehen wird.
2 Kommentare
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global $hemingway ?>Wahre Worte, ich schau maximal 15 Minuten am Tag TV, wenn überhaupt und selbst da wird mir schon streckenweise schlecht…
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Das mangelhafte Nivau im Fernsehen und die unbefriedigende Ausführung des Bildungsauftrags der öffentlich-rechtlichen treibt mich auch immer öfters vor den Rechner und in seine virtuelle Welten, wo man das Programm und seine Inhalte zum größten Teil selbst bestimmen kann.
Auch das verschwinden (und fernbleiben) liebgewonnener Trickfilme (für sowas wird man nie zu alt) frustriert mich zunehmend. Und mir extra PayTV anzuschaffen nur um wöchentlich eine Folge Saberrider & Co. zu sehen rechnet sich nicht, da kommt man mit den DVD’s günstiger.